Gerold und Hansli - Die Mädchenfeinde (Kinder-Klassiker) by Carl Spitteler

Gerold und Hansli - Die Mädchenfeinde (Kinder-Klassiker) by Carl Spitteler

Autor:Carl Spitteler [Pröhle, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9788026865629
Herausgeber: e-artnow
veröffentlicht: 2016-09-05T00:00:00+00:00


Also lief er den Hügel hinab zur Aar. Dort streifte er auf der Suche nach einem Schützenplatz und glatten Steinchen der Strömung entlang hinter dem Weidensaum. Jetzt, so nahe am Ufer, war der Fluß nicht mehr stumm, sondern gab einen unheimlichen dröhnenden Metallruf von sich, immer den nämlichen.

»Geh nicht zu nah zum Wasser! und entferne dich nicht zu weit!« warnte Gesimas Ruf von oben.

»Ich kann sechs Züge schwimmen«, meldete er stolz zurück.

Ein tief in den Schatten getauchter schwarzer Waldgraben, wo der Strom in pfeilschnellen Wirbelringen vor einer Felswand umbog, zog ihn an; erstens wegen des fürchterlichen Anblicks, zweitens weil sich an dieser grausigen Stelle eine Halbinsel von Schiefergeschütt wie ein Dreieck weit in den Fluß vorschob, die Spitze des Dreiecks im Wasser; dort mußten sich geeignete Wurfgeschosse in Menge vorfinden. Langsam, Fuß vor Fuß setzend, wagte er sich auf dem Geschütt vor, bange und bebend, mit verhaltenem Atem und klopfendem Herzen, denn ihm war, als wollte ihn der reißende Wogenschuß von dreien Seiten zugleich angreifen, umwälzen und fortschwemmen; und das einförmige Dröhnen des Stromes hatte sich in ein heulendes Brausen verwandelt. Nachdem er ein glattes Scheiblein aufgelesen, pflanzte er sich in schräger Schützenstellung fest auf die Beingestelle und schickte es waagrecht über die Fläche. Ein-, zwei-, dreimal berührte der Stein streifend das Wasser, milchweiße Spritzer zischten empor, die von dem finstern Wasserrachen sofort verschluckt wurden; schnapp, wie von einem Krokodil. Doch Krokodile gibt es nicht in der Aar. Allerdings, wenn man abergläubisch wäre, könnte man meinen, dort in jener meergrünen Wirbelmühle glotzten zwei Krokodilaugen und dort von oben kämen mehrere hintereinander mit der Strömung geschwommen, tückisch unterm Spiegel verborgen, bewegungslos anreisend, sich tot stellend. Unsinn! – Ha! da segelte er mitsamt der Insel, worauf er stand, den Fluß hinunter, daß er schwindelnd mit den Armen nach einem Halt fischte, während gleichzeitig eine ungeheure Riesenschlange, um die Waldecke schießend, ihn blitzschnell verfolgte. Lächerlichkeit! Augentäuschung! es schien nur so. – Aber wenn doch nur Gesima mit ihrem läppischen Geschrei aufhören wollte! sie verwirrt einem vollends den Kopf damit. »Stille schweigen!« herrschte er ihr zu. Solch eine Dummheit! Sie könnte einen schließlich noch anstecken mit ihrer einfältigen Angst.

Und bückte sich, um ein zweites Tellerchen auszuwählen. Da gewahrte er etwas auffällig Weißes im Geschiefer, ein ziemlich großes Blatt Papier, das an den vier Ecken mit Kieseln beschwert war; es lag kaum anderthalb Schritt von ihm entfernt, aber ganz nahe beim Wasser, so nahe, daß es fast vom Schaum bespült wurde. Neugierig schob er sich mit vorsichtigen Drehungen hinzu, behändigte mit einem raschen Griff glücklich den Fund und untersuchte ihn. Das Papier war beschrieben, zwar bloß mit Bleistift, aber leserlich. Er buchstabierte und las: »Hier stand ich vier Stunden. Der Mutter gedenkend kehrte ich um. Max, genannt ›der Narrenstudent.‹« Schnell kniete Gerold nieder, kramte seinen Bleistift aus der Tasche, stützte sich auf die Ellenbogen, und also, in vierfüßiger Stellung, den Geschüttboden als Schreibtisch benützend, kritzelte er hastig eine Nachschrift darunter: »Abscheulicher Mensch! den niemand gern hat, nicht einmal sein eigener Vater! Gerold.« Und die Urkunde beschwerte er seinerseits mit Steinen, gleichsam als einen Urteils-, Absage- und Fehdebrief.



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