Gebrauchsanweisung für Bali by Blubacher Thomas

Autor:Blubacher, Thomas [Blubacher, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Reise
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-09-13T16:00:00+00:00

Von der Wiege bis zur Bahre: Zeremonien und Rituale

Seit immer mehr Menschen aus den großen christlichen Kirchen austreten, auf Zeremonien aber dennoch nicht verzichten wollen, boomt in Europa ein neuer Beruf: In der Schweiz etwa bildet eine »Fachschule für Rituale« in dreijährigen berufsbegleitenden Lehrgängen Ritualberater aus. Freischaffend sorgen diese bei Namensgebungen, Trauungen und Beisetzungen für die erwünschte Feierlichkeit, führen Zeremonien für Menarche und Menopause durch, segnen Häuser, geben Scheidungen und Pensionierungen einen würdigen Rahmen. Rituale erleichtern das Zusammenleben, geben Sicherheit und helfen in Stresssituationen, und nicht zuletzt fördern sie die Gemeinschaft. Auf Bali bedeutet Leben immer Leben in der Gemeinschaft, mit anderen Menschen, aber auch mit unzähligen Göttern und Dämonen – schließlich findet man das Übernatürliche überall, in Steinen und Blumen, im Wind und im Meer. Überdies stehen die Balinesen in enger Verbindung mit ihren verstorbenen Vorfahren. Es sind rituelle Handlungen, die eine Verbindung zwischen sekala und niskala schaffen, der sichtbaren und der nicht sichtbaren Welt. So prägen tägliche Opfer und Gebete am Hausaltar den Alltag, an unzähligen Orten huldigt man Göttern und beschwichtigt Dämonen. Sechs verschiedene Zeremonien begleiten allein das Wachsen des Reises von der Aussaat bis zur Ernte, religiöse Feste strukturieren den Jahresablauf, Durchgangsriten markieren wichtige Lebensstationen, und am Ende des Lebens steht die wichtigste Zeremonie von allen, die Verbrennung.

Einige der bedeutendsten Feste werden alle 210 Tage gefeiert – so lange dauert nämlich ein balinesisches Jahr. Parallel zum gregorianischen Kalender, der für amtliche Datierungen und natürlich im internationalen Verkehr verwendet wird, benutzt man auf Bali zwei weitere Kalender: den saka-Kalender und den pawukon-Kalender. Das hört sich kompliziert an und ist es auch, und so bin ich meist zufrieden, wenn ich erfahre, wann ein bestimmtes Fest stattfindet, warum es gerade an diesem Tag begangen wird, muss ich nicht immer verstehen. Überdies kennen die Balinesen einen astrologischen Kalender, den palelintangan, der, ähnlich unseren zwölf Sternzeichen, 35 Zeichen mit bestimmten Anlagen und Charaktereigenschaften unterscheidet. Wer – nach unserem Kalender – beispielsweise am 30. November 1967 zur Welt kam, ist eine »zerbrochene Hacke«, idealistisch, voll hochfliegender Träume und Sehnsucht nach Liebe, mischt sich aber gern in die Angelegenheiten anderer Leute ein. Wer am 29. Mai 1978 geboren wurde, ist eine »Kuh« und damit jähzornig und unbescheiden, aber auch einflussreich. Nur einen Tag später zur Welt gekommen, wäre dieser Mensch ein friedliches und soziales »Schwein«, dessen leidenschaftliche Wünsche oft enttäuscht werden …

Der Mondkalender saka, der weitgehend dem indischen Shaka-Kalender entspricht, kennt wie der gregorianische Kalender gezählte Jahre. An unserem 9. März 2016 beispielsweise beginnt das Jahr 1938, am 28. März 2017 das Jahr 1939. Ein saka-Jahr besteht aus zwölf Mondmonaten (sasih), die jeweils am Tag nach Neumond beginnen und 30 Tage umfassen, aufgeteilt in je 15 Tage mit zunehmendem Mond (tanggal) und abnehmendem Mond (panglong oder penanggal). Da der Mondzyklus de facto 29,5 Tage dauert, kennt man »negative Schalttage«, ngunalatri genannt: Alle 63 Tage fallen auf einen Sonnentag gleich zwei Mondtage, und so hat der 30-tägige Mondmonat dann eben nur 29 Sonnentage. Da das Mondjahr so auf 354 oder 355 Tage kommt, schiebt man alle drei bis vier Jahre einen Schaltmonat ein.

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