Frauen vor Flusslandschaft by Heinrich Böll

Autor:Heinrich Böll [Böll, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
Herausgeber: E-Books im Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2009-09-24T22:00:00+00:00

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Kapitel 7

ELISABETH BLAUKRÄMERs Zimmer im Kurhotel Kuhlbollen, geräumig mit Schreibtisch, Telefon, Fernsehapparat, zwei großen Fenstern mit Blick über Wiesen hin zum Waldrand. An den Wänden Drucke von Klee, Chagall, Hundertwasser oder Picasso, Blumen auf dem Nachttisch, Blumen auf dem Schreibtisch. Das Zimmer ganz in Tönen zwischen Gelb und Braun gehalten, viele Abstufungen von Beige, die Decke mit einer altgoldenen Leiste abgesetzt. Im Vordergrund, links von dem kleinen Schreibtisch, eine Art Eßtisch, umgeben von einer Sitzgarnitur, die aus einer dreisitzigen Couch und zwei Sesseln besteht. Frau Blaukrämer sitzt auf der Couch, ihr gegenüber in einem der Sessel Frau Dr. Dumpler, die etwa Mitte Dreißig ist. Frau Dumpler ist nicht als Ärztin zu erkennen, beide Damen dezent gekleidet. Auf dem Tisch Teekanne, Tassen, in einer Schale Gebäck.

DR. DUMPLER Wenn Sie zu der Einsicht kämen, daß Sie Ihre Erinnerungen sowohl verschönt wie, sagen wir, verhäßlicht haben, brauchten Sie sich nicht zu schämen. Die meisten Menschen verschönern Erinnerungen und verschlimmern die Ursachen ihrer Traumata. Bei vielen Traumata, die später entstanden sind, werden die Ursachen in Jugend und Kindheit zurückverlegt, zu Eltern, Lehrern. Andere, häßliche Erinnerungen verschönert man sich. Es gibt Fälle, wo die Eltern nachweislich liebenswürdig und sorgsam waren, in der Erinnerung aber zu Scheusalen gemacht werden, wo freundliche Liebeserfahrungen zu häßlichen werden und umgekehrt. Männer, die verführt worden sind, verwandeln sich in Eroberer, Verführer. Bei Ihnen liegt beides vor: ein sehr häßliches Erlebnis wird verschönert und ideologisch verfärbt. Wir haben verbürgte, zum Teil eidesstattlich bestätigte, zum größten Teil schriftliche Aussagen über den Tod Ihres Vaters und Ihres Bruders sowie der Familie Plotzek. Ihre Mutter, Ihre verstorbene Schwester, die überlebende Tine Plotzek, jetzt Frau Ermeck, haben geschworen, daß Ihr Vater von den Russen erschossen, dann aufgehängt worden ist wie Ihr Bruder … ebenso die Familie Plotzek. Sie dagegen bleiben hartnäckig dabei, daß es sich um Mord und Selbstmord gehandelt hat. Lächelt. Es muß einen sonderbaren Russen-Rechtfertigungsmechanismus in Ihnen geben, der mit dem zweiten Erlebnis zusammenhängt, das Sie hartnäckig romantisieren.

ELISABETH BLAUKRÄMER ruhig: Ich weiß, meine Mutter und meine Schwester behaupten, ich sei von Dimitri vergewaltigt worden, mit dem sechzehnjährigen Eberhard Plotzek aber hätte mich eine romantische Liebesbeziehung verbunden. So ganz nach bewährtem schottisch-englisch-romantischem Muster: Adeliges Fräulein liebt Pferdeknecht. Romantisch war an dieser Beziehung zu Eberhard nichts: er hat mir immer wieder unter den Rock gegriffen, und ich habe ihm jedesmal eine geknallt. Verraten wollte ich ihn nicht, und er wußte das, er wollte mich mit Gewalt nehmen. Und Dimitri Lächelt den habe ich nicht gerade vergewaltigt, aber ich habe ihn fast gezwungen, mich zu küssen und mir seine Liebe zu gestehen, er war so unglaublich schüchtern. Er brachte uns immer Zucker, auch Tee, mal eine Tafel Schokolade, auch Speck. Er war zum Erbarmen schüchtern, dazu kam der Respekt vor dem Scheißadel, den die Russen doch alle in den Knochen haben, er war mit seinem Chef, einem Oberst, bei uns einquartiert. Frau Dr. Dumpler will sie unterbrechen, aber sie steht auf, bricht aus, spricht lauter. Mein Vater und mein Bruder, die Plotzeks von den Russen hingerichtet - von wegen! Das paßte nur zu gut in die Flüchtlingsstory.

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