Erzählungen und Dramen by Tschechow Anton

Erzählungen und Dramen by Tschechow Anton

Autor:Tschechow, Anton
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2024-01-02T00:00:00+00:00


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Das Glück

An der breiten Steppenstraße, die Große Landstraße genannt, übernachtete eine große Schafherde. Zwei Hirten bewachten sie. Der eine, ein achtzigjähriger, zahnloser Greis mit zittrigem Gesicht lag auf dem Bauche am Straßenrande, und seine Ellenbogen ruhten auf den staubigen Wegerichblättern; der andere, ein junger bartloser Bursche mit dichten schwarzen Brauen, in Sackleinwand gekleidet, lag auf dem Rücken, die Hände im Nacken, und blickte in den Himmel hinauf, an dem sich direkt über seinem Gesicht die Milchstraße hinzog und die Sterne schlummerten.

Die Hirten waren nicht allein. Einige Schritte vor ihnen war im Dunkel, das die Straße verhüllte, ein gesatteltes Pferd zu erkennen, und daneben stand, gegen den Sattel lehnend, ein Mann in hohen Schaftstiefeln und kurzem Oberrock, allem Anschein nach ein berittener Feldhüter. Seiner aufrechten und unbeweglichen Haltung, seinen Manieren und dem Benehmen den Hirten gegenüber konnte man ansehen, daß er ein ernster, gesetzter, sich seines eigenen Wertes voll bewußter Mann war; selbst im Dunkel waren an ihm Spuren militärischen Drilles zu erkennen und der bekannte majestätisch herablassende Ausdruck, den man sich durch häufigen Verkehr mit den Herrschaften und den Verwaltern aneignet.

Die Schafe schliefen. Vom grauen Lichtschein, der sich über den östlichen Teil des Himmels zu ergießen anfing, hoben sich hier und da die Silhouetten einiger nicht schlafender Schafe ab; sie standen mit gesenkten Köpfen und schienen an etwas zu denken. Ihre langsamen, trägen, nur von den Vorstellungen von der weiten Steppe, vom Himmel, von den Tagen und Nächten genährten Gedanken bedrückten wohl auch sie selbst bis zur Bewußtlosigkeit; sie standen wie festgewurzelt da und merkten weder die Anwesenheit eines Fremden, noch die Unruhe der Hunde.

Die verschlafene, erstarrte Luft war von dem eintönigen Lärm erfüllt, der unbedingt zu jeder Sommernacht in der Steppe gehört; ununterbrochen zirpten die Grillen, schrien die Wachteln, und in der eine Werst weit entfernten Schlucht, in der ein Bach lief und Weiden wuchsen, pfiffen träge junge Nachtigallen.

Der Feldhüter war stehen geblieben, um die Schäfer um Feuer für seine Pfeife zu bitten. Er setzte die Pfeife schweigend in Brand, rauchte sie zu Ende, stützte sich dann, ohne ein Wort gesagt zu haben, gegen den Sattel und versank in seine Gedanken. Der junge Schäfer schenkte ihm nicht die geringste Beachtung; er fuhr fort, auf dem Boden zu liegen und zum Himmel emporzuschauen; der Alte aber musterte den Feldhüter und fragte:

»Ist das nicht Pantelej vom Makarowschen Gute?«

»Ja, der bin ich,« antwortete der Feldhüter.

»Das sehe ich jetzt. Ich hatte dich nicht erkannt, dir steht also Reichtum bevor. Woher des Weges?«

»Aus dem Kowyler Revier.«

»Das ist weit von hier. Verpachtet ihr das Revier?«

»Wir verpachten es an die Bauern, lassen darauf auch Kürbisse bauen. Eigentlich komme ich von der Mühle.«

Ein großer, alter, schmutzig-weißer, zottiger Schäferhund mit Haarbüscheln um die Augen und an der Schnauze, der sich zuerst gleichgültig gegen die Anwesenheit des Fremden gestellt hatte, ging dreimal ruhig um das Pferd herum und überfiel plötzlich mit bösem, greisenhaftem Röcheln den Flurhüter von hinten; auch die übrigen Hunde konnten sich nicht länger beherrschen und sprangen auf.

»Kusch dich, verfluchtes Vieh!« schrie der Alte, sich auf den einen Ellenbogen aufrichtend.



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