Erzählungen by Dostojewski Fjodor

Erzählungen by Dostojewski Fjodor

Autor:Dostojewski, Fjodor [Dostokewki]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2024-01-13T00:00:00+00:00


II

Sein Herz klopfte so heftig, daß es ihm vor den Augen grün wurde und der Kopf ihm schwindelte. Mechanisch machte er sich daran, seine geringe Habe in der neuen Wohnung unterzubringen; er band das Bündel auf, das allerlei notwendige Sachen enthielt, schloß den Kasten mit den Büchern auf und begann sie auf dem Tische aufzustellen; aber er mußte diese Arbeit bald aufgeben. Fortwährend glänzte vor seinen Augen das Bild des Weibes, dessen Anblick sein ganzes Wesen in Aufregung gebracht und in seinem tiefsten Grunde erschüttert und sein Herz mit einem so gewaltigen, krampfhaften Entzücken erfüllt hatte; in sein ärmliches Leben war auf einmal so viel Glückseligkeit hineingeströmt, daß seine Denkkraft sich trübte und sein Geist in Sehnsucht und Verwirrung beinah verging. Er nahm seinen Paß und trug ihn dem Wirte hin, in der Hoffnung, sie dabei zu sehen. Aber Murin öffnete die Tür nur so eben, nahm ihm das Papier ab, sagte zu ihm: »Gut, lebe in Frieden!« und schloß sich wieder in sein Zimmer ein. Eine unangenehme Empfindung bemächtigte sich Ordynow. Ohne daß er einen eigentlichen Grund hätte angeben können, war es ihm peinlich, diesen Alten anzusehen. Es lag in dem Blicke desselben etwas Geringschätziges und Boshaftes. Aber diese unangenehme Empfindung verflog bald. Dies war nun schon der dritte Tag, daß Ordynow in einer Art von Wirbel lebte im Vergleich mit dem früheren stillen Dahingleiten seines Lebens; aber zu überlegen war er nicht imstande; ja er fürchtete sich, es zu tun. Sein ganzes Wesen war in Unordnung und Verwirrung geraten; er fühlte unklar, daß sein ganzes Leben gleichsam in zwei Teile zerbrochen war; ein einziger Drang, eine einzige Erwartung hatte von ihm Besitz ergriffen, und kein anderer Gedanke vermochte ihn zu beunruhigen.

In verständnisloser Verwunderung kehrte er in sein Zimmer zurück. Dort war an dem Ofen, in dem das Essen kochte, eine kleine, gekrümmte alte Frau beschäftigt; sie war so schmutzig und in so häßliche Lumpen gekleidet, daß sie einen abstoßenden Anblick bot. Sie schien von sehr boshaftem Charakter zu sein, knurrte ab und zu und flüsterte mit den Lippen etwas vor sich hin. Das war die Magd der Wirtsleute. Ordynow machte den Versuch, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen; aber sie schwieg, offenbar aus Bosheit. Endlich war die Essenszeit herangekommen. Die Alte nahm die Kohlsuppe, die Pasteten und das Rindfleisch aus dem Ofen und trug es zu den Wirtsleuten hin. Dieselben Gerichte brachte sie auch dem neuen Mieter. Nach dem Mittagessen trat in der Wohnung eine Totenstille ein.

Ordynow nahm ein Buch in die Hand und wendete lange Zeit die Blätter um, bemüht, in dem, was er schon mehrmals hintereinander gelesen hatte, einen Sinn zu finden. Ungeduldig warf er das Buch hin und versuchte wieder, seine Habseligkeiten einzuräumen; schließlich ergriff er seine Mütze, zog den Mantel an und ging auf die Straße. Ohne auf den Weg zu achten, schlug er aufs Geratewohl irgendeine Richtung ein und strengte sich fortwährend an, sich nach Möglichkeit zu konzentrieren, seine wirren Gedanken zu sammeln und wenigstens ein bißchen über seine Lage nachzudenken. Aber dieses Bemühen wurde ihm nur zur Qual, zur Folter.



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