Eine kurze Geschichte von fast allem by Bill Bryson

Eine kurze Geschichte von fast allem by Bill Bryson

Autor:Bill Bryson
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbuch
ISBN: 3-442-31002-4
Herausgeber: Goldmann


18.

Die elementare Verbindung

Stellen wir uns einmal vor, wir lebten in einer Welt, die von Diwasserstoffoxid beherrscht wird, einer geschmack- und geruchlosen Verbindung mit so vielfältigen Eigenschaften, dass sie in der Regel harmlos ist, manchmal aber auch sehr schnell tödlich wirken kann.1 Je nachdem, in welchem Zustand sie sich befindet, können wir uns daran verbrennen oder erfrieren. Sind zusätzlich bestimmte organische Moleküle vorhanden, bildet sie bösartige Carbonsäuren, die das Laub von den Bäumen fallen lassen und steinernen Statuen die Gesichter zerfressen. Wird sie in großen Mengen aufgewühlt, schlägt sie unter Umständen mit solcher Gewalt zu, dass kein von Menschen gemachtes Gebäude ihr widerstehen kann. Selbst für jene, die gelernt haben, mit ihr zu leben, ist sie häufig eine Mördersubstanz. Wir nennen sie Wasser.

Wasser ist überall. Eine Kartoffel besteht zu 80 Prozent aus Wasser, eine Kuh zu 74, ein Bakterium zu 75 Prozent.2 Eine Tomate ist mit 95 Prozent eigentlich kaum etwas anderes als Wasser. Selbst bei uns Menschen macht das Wasser 65 Prozent aus, das heißt, wir sind im Verhältnis von fast zwei zu eins mehr Flüssigkeit als Festsubstanz. Wasser ist ein seltsamer Stoff. Es ist formlos und durchsichtig, und doch sehnen wir uns danach, in seiner Nähe zu sein. Es hat keinen Geschmack, und doch lieben wir seinen Geschmack. Wir reisen über große Entfernungen und bezahlen ein kleines Vermögen dafür, um es im Sonnenlicht zu sehen. Und obwohl wir wissen, dass es gefährlich ist und dass jedes Jahr Zehntausende von Menschen ertrinken, können wir es nicht erwarten, darin herumzutollen.

Da Wasser so allgegenwärtig ist, übersehen wir häufig seine wahrhaft außergewöhnlichen Eigenschaften. Fast nichts davon ist geeignet, zuverlässige Aussagen über andere Flüssigkeiten zu machen, und umgekehrt.3 Wenn wir nichts über das Wasser wüssten und unsere Annahmen auf das Verhalten der Verbindungen stützen würden, die ihm chemisch am stärksten ähneln – insbesondere Wasserstoffselenid und Schwefelwasserstoff –, würden wir damit rechnen, dass es bei minus 93 Grad siedet und bei Zimmertemperatur ein Gas ist.

Die meisten Flüssigkeiten ziehen sich beim Abkühlen um bis zu zehn Prozent zusammen. Das gilt auch für das Wasser, aber nur bis zu einer bestimmten Grenze. Knapp oberhalb des Gefrierpunktes dehnt es sich wieder aus – eine paradoxe, rätselhafte, äußerst unwahrscheinliche Eigenschaft. Wenn es fest wird, ist sein Volumen um fast ein Zehntel größer als zuvor.4 Wegen dieser Ausdehnung schwimmt Eis auf dem Wasser – »eine ganz und gar bizarre Eigenschaft«, wie John Gribbin es formuliert.5 Ohne diese reizvolle Besonderheit würde Eis nach unten sinken, Seen und Ozeane würden von unten nach oben zufrieren. Ohne Oberflächeneis, das die Wärme festhält, würde diese aus dem Wasser entweichen, sodass es sich noch stärker abkühlt und mehr Eis entsteht. Dann würden auch die Ozeane schnell zufrieren und mit ziemlicher Sicherheit sehr lange in diesem Zustand bleiben, vielleicht sogar für immer – kaum die richtige Voraussetzung für das Leben. Wir können dankbar dafür sein, dass das Wasser sich scheinbar weder um die Regeln der Chemie noch um physikalische Gesetze kümmert.

Wasser hat die allgemein bekannte chemische Formel H 2 O, das heißt, es besteht aus einem relativ großen Sauerstoffatom, an das zwei kleinere Wasserstoffatome angeheftet sind.



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