Die Portugiesische Reise by José Saramago

Die Portugiesische Reise by José Saramago

Autor:José Saramago [Saramago, José]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: Hoffmann und Campe (com)
veröffentlicht: 2012-10-03T22:00:00+00:00


Der Geist des José Junior

Die Nacht ist kalt in der Senke, in der Fundão liegt. Aber nicht nur deswegen hat der Reisende schlecht geschlafen. In dieser Gegend, nicht genau hier, aber doch in spürbarer Nähe, treibt der Geist von José Junior sein Unwesen. Er ist übrigens der Einzige, an den der Reisende glaubt. Seinetwegen fährt er nach São Jorge da Beira, das an den schon sehr gebirgigen Ausläufern der Serra da Estrela liegt. José Junior hat er nicht gekannt, er hat sein Gesicht nie gesehen, aber irgendwann, vor vielen Jahren, hat er ein paar Zeilen über ihn geschrieben. Dazu veranlasst hatte ihn eine Zeitungsnotiz, der Bericht einer schmerzlichen, aber hierzulande nicht seltenen Geschichte über einen Mann, der das Opfer einer besonderen Form von Grausamkeit wurde, die sich gegen die Dorftrottel und Betrunkenen richtet, arme Menschen, die sich nicht wehren können.

Zu dieser Zeit arbeitete der Reisende für eine Zeitung, die eben hier in Fundão erscheint, und aus Gründen, die vielleicht eher poetischer als rationaler Natur sind, schrieb er einen Artikel, eine Art Glosse, die dann auch veröffentlicht wurde. Darin zitierte er zunächst einen Vers des brasilianischen Dichters Carlos Drummond de Andrade und machte dann ein paar moralische Bemerkungen über das Schicksal all der vielen Josés dieser Welt, »die mit ihrer Kraft am Ende sind, von der Meute gehetzt, doch nicht die Courage zum letzten, und sei es tödlichen Sprung haben«. Und weiter: »Vor dem Tisch, an dem ich schreibe, steht ein anderer José. Er hat kein Gesicht, es ist nur eine Gestalt, eine Oberfläche, die zittert wie ein permanenter Schmerz. Ich weiß, dass er José Junior heißt, er hat keinen Nachnamen und keinen bekannten Stammbaum, und er wohnt in São Jorge da Beira. Er ist jung, er trinkt, und man behandelt ihn wie einen Idioten. Einige Erwachsene machen sich über ihn lustig, die Kinder rotten sich um ihn zusammen, und vielleicht bewerfen sie ihn von weitem mit Steinen. Und wenn nicht, dann schubsen sie ihn mit jener jähen, Kindern eigenen Grausamkeit, die brutal und feige zugleich ist, und José Junior, der völlig betrunken ist, fällt hin und bricht sich vielleicht das Bein, oder auch nicht, und muss ins Krankenhaus.« Und dann weiter: »Ich schreibe diese Worte aus vielen Kilometern Entfernung, ich weiß nicht, wer José Junior ist, und ich hätte Schwierigkeiten, São Jorge da Beira auf der Karte zu finden. Aber diese Namen bezeichnen nur Einzelfälle eines allgemeinen Phänomens: Verachtung, wenn nicht Hass, gegenüber dem Nächsten, ein überall grassierender Wahnsinn, der sich mit Vorliebe auf schwache Opfer stürzt. Ich schreibe diese Worte an einem späten Nachmittag, der Himmel hat dieselbe Farbe wie am frühen Morgen, ich blicke auf den Tejo, auf dem langsam fahrende Boote Menschen und Nachrichten von einem Ufer zum anderen bringen. All das scheint friedlich und harmonisch wie die beiden Tauben, die gutgläubig auf der Veranda gurren. Ach, dieses kostbare Leben, das uns abhandenkommt, der sanfte Abend, der morgen nicht mehr derselbe sein wird, der nie wieder so sein wird wie jetzt! Währenddessen liegt José Junior im Krankenhaus,



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