Der Sonnentempel by Iwan Bunin

Der Sonnentempel by Iwan Bunin

Autor:Iwan Bunin [Bunin, Iwan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Dörlemann Verlag AG, Zürich
veröffentlicht: 2015-07-28T16:00:00+00:00


IV

Ich war aufgewühlt und kehrte in Gedanken immer wieder in dieses weiße Häuschen zurück. Voller Kummer schaute ich auf die Kaniwer Berge, die nun immer weiter hinter uns zurückblieben. Noch wunderbarer und teurer schien mir jetzt die Heimat des großen Nationaldichters.

Es war einer jener Abende, wie ihn die Schwalben so lieben, ein Abend, an dem sie sich so frei in den klaren Himmel hinaufschwingen oder über der Spiegelfläche des Wassers dahingleiten, sie mit einem spitzen Flügel flüchtig streifen und dann von neuem mit unbewußt freudigem Gezwitscher in die reine Luft tauchen – ein Abend, erfüllt von idealer, harmonischer Schönheit.

Die zartesten Farben – von Graurosa bis Purpurrot-gold –, die feinsten Spiegelungen des Abendrots fing die reglose Wasserfläche des Dnjepr ein, die weit wie ein See war; es war sogar ein eigenartiges Gefühl, darüber zu fahren – so bildhaft und ruhig war sie … Wir waren inzwischen unterhalb von Sokirno, in jener Gegend, wo sich nach den Bergen das rechte Ufer über mehrere Werst Breite und Länge zu einer breiten, niedrig gelegenen Ebene ausweitet. Dort gab es Fluren und Auen, nicht wie unsere großrussischen, die immer verlassen wirken, sondern ukrainische, malerische Fluren, auf denen bald Wäldchen grünen, bald einsam zwischen Heuschlägen ausladende Bäume stehen, schön und durch die Entfernung bildhaft verkleinert, wie auf gemalten Landschaften. Mag sein, daß der Sommerabend und meine Stimmung diese Landstriche verklärten; doch mir schien, daß eben diese die echt ukrainischen Landstriche seien, so wie ich sie mir seit meiner Kindheit ausgemalt hatte, mit der ganzen Poesie und der traumverlorenen Schönheit der südlichen Natur.

Ich blickte in die abendlich dunkelnde Weite dieser Auen, stellte mir die grüne Dorfstraße vor und hörte bei den weißen Häuschen beinahe die klingenden Mädchenstimmen, die im stillen Abendrot weithin erschallten und davon sangen, wovon auch der große ukrainische Dichter gesungen hatte. Ich dachte wieder an diese grabförmigen Berge, von denen mich die alten Überlieferungen anwehten, und unwillkürlich verflocht ich meine Gedanken mit solchen über das Leben von Taras, ohne sein Grab aus den Augen zu lassen.

Die fernen Berge von Kaniw waren hinter uns noch lange zu sehen wie eine mattlila Wolke vor dem goldenen Hintergrund des Westens. Die ganze Abenddämmerung hindurch schimmerten ihre Silhouetten über dem endlosen Spiegel des Dnjepr …

Als es dunkelte und man die Laterne am Mast aufzog, wurde es kalt, leicht neblig, und bei einem Blick nach vorn, gegen Osten, sah ich die Ufer nicht mehr. Der blaue Dnjepr verschmolz mit dem matten Blau der dunklen südlichen Nacht. Der Nachtwind entfachte einen heftigen Seegang; der Dnjepr war in Aufruhr, und das ganze Nebelblau des Dnjepr und der Nacht schien aufzuwallen und durchdrungen zu sein von der Kälte des fernen Meeres … Unstet schillerten dort, in der Ferne, die blaßgrünen Lichter eines unsichtbaren Schiffes … Dann versanken auch sie hinter den Wellen …

Ich ging in die Kajüte, wo schon alle schliefen, und lag bis zum Morgengrauen schlaflos in meiner Koje. Es war finster darin wie in einem Sarg. Diese Finsternis, das gleichmäßige Schwanken – es kam mir vor, als läge ich in



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