Der patagonische Hase by Lanzmann Claude

Der patagonische Hase by Lanzmann Claude

Autor:Lanzmann, Claude [Lanzmann, Claude]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbücher/Geschichte/Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-08-31T16:00:00+00:00


KAPITEL XIII

1958, ich bin dreiunddreißig. Für mich ist es das Jahr des «Priesters von Uruffe», der Rückkehr General de Gaulles an die Macht, meiner Reise nach Nordkorea und China, der bald zur Gewissheit werdenden Vorahnung, dass meine Beziehung zu Castor eine neue Wendung nehmen würde. Diese Augenblicke meines Lebens sind tiefer miteinander verbunden als durch bloßes zeitliches Zusammentreffen. In Uruffe, einer normalen lothringischen Gemeinde, hatte der Priester eins seiner Pfarrkinder, die zwanzigjährige Régine Fays, die von ihm schwanger war und kurz vor der Entbindung stand, mit einem Genickschuss getötet; nach dem Mord hatte er ihr den Bauch aufgeschnitten und sie entbunden; dann hatte er dem Baby mit einem kleinen Fahrtenmesser die Augen ausgestochen, nicht ohne ihm zuvor in rasant abgekürzter Liturgie Taufe und Letzte Ölung zugleich erteilt zu haben. Das war eine Tat, wie sie in Generationen nur einmal vorkommt, und der France Dimanche bat mich, über den Prozess zu berichten, der am 24. Januar 1958 an einem kalten Morgen, an dem Schnee und Eis Nancy bedeckten, vor dem Schwurgericht des Départements Meurthe-et-Moselle begann. Ich will hier nicht das erschreckende Leben von Guy Desnoyers beschreiben, dem «Mörder von Uruffe», wie ihn der Figaro in der Ausgabe jenes Tages nannte, womit er eine schwierige, geradezu magische Operation vollzog, die den Priester aus der Kirche und die Kirche aus dem Priester vertrieb. Ich habe den gesamten Prozess verfolgt, auch die Sitzungen, die hinter verschlossenen Türen stattfanden, und nahm an der Verkündung des nachsichtigen Urteils teil, das den Priester, zweifachen Mörder und tausendfachen Sünder vor der Todesstrafe bewahrte, da ihm mildernde Umstände zugebilligt wurden, von denen allerdings während des zweitägigen Prozesses nie die Rede war, den der Vorsitzende im Eiltempo durchzog und in dem es ihm vor allem darum ging, dass die eigentlichen Fragen nicht gestellt wurden.

Den Artikel für den France Dimanche würde ich heute gern wiederlesen. Damals war ich mit dem, was ich darin sagte, zufrieden, aber unzufrieden mit dem wenigen Platz. Eine grundlegende Analyse war nicht möglich. France Dimanche – hier findet sich die Einheit des Ich wieder – war für mich ein Testballon, wie die erste Stufe einer Rakete, und ich beschloss, es nicht dabei zu belassen und einen weiteren Text, ohne jede Beschränkung, für die Temps Modernes zu schreiben, die dem fait divers einen Status und eine Würde verliehen hatten, die denen von Literatur und Philosophie in nichts nachstanden. Sartre und Castor verschlangen in den Zeitungen alles, was mit menschlichen Leidenschaften zu tun hatte, lasen auch Krimis, und die Zeitschrift scheute nie davor zurück, über die schlimmsten Perversionen zu berichten, wenn wir sie entlarvend fanden. Ich machte mich also Anfang Februar an meinem Schreibtisch in der Rue Schœlcher an die Arbeit. Castor allerdings war nicht bereit, auf die sakrosankten Winterferien zu verzichten, und hatte beschlossen, dass wir in Courchevel Ski fahren würden. Ich hielt ihr entgegen, dass ich nicht gleichzeitig Ski laufen und meinen Artikel schreiben könne, der mich vollkommen in Anspruch nahm. Schließlich verzichtete ich aufs Skifahren, worüber ich mich heute noch wundere, denn das hätte ich mir



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.