Der letzte Kuss by Fitzgerald F. Scott
Autor:Fitzgerald, F. Scott
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Klassiker
ISBN: 978-3-257-60143-5
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
[266] III
Am dritten Abend von Pamelas Theateraufführung fuhr Jim nach Pasadena und nahm einen Platz in der letzten Reihe. Er betrat einen winzigen Zuschauerraum; abgesehen von aufgeregten Platzanweisern und Gehämmer und Geplapper hinter der Bühne war er der bislang einzige Anwesende. Er erwog einen diskreten Rückzug, doch zu seiner Beruhigung erschienen fünf weitere Zuschauer, darunter Joe Beckers erster Assistent. Das Licht erlosch; ein Gong wurde geschlagen; die Aufführung begann vor einem Publikum von sechs Personen.
Jim beobachtete Pamela; vor ihm tuschelten die fünf Leute nach jedem ihrer Auftritte. War sie gut? Davon war er überzeugt. Doch in Zeiten, in denen die Studios die halbe Welt nach neuen Talenten abgrasten, war etwas wie ein »Naturtalent« so gut wie ausgeschlossen. Es gab nur Gelegenheiten und Glück. Das Glück war er. Vielleicht war er das Glück für dieses Mädchen – falls er den Eindruck gewinnen sollte, dass ihre Wirkung auf ihn sich verallgemeinern ließ. Stars waren nicht mehr das Ergebnis des zufälligen Begehrens eines Einzelnen wie in den guten alten Stummfilmtagen, aber für Mädchen im Ensemble, Probeaufnahmen und Chancen galt das immer noch. Als der letzte Vorhang gefallen war, so unspektakulär wie eine heruntergelassene Jalousie, ging Jim hinter die Bühne, indem er einfach eine Tür durchschritt. Pamela erwartete ihn.
»Ich hatte gehofft, Sie würden heute Abend nicht kommen«, sagte sie. »Wir sind durchgefallen. Aber am Premierenabend war es voll, und ich habe nach Ihnen gesucht.«
[267] »Sie waren hervorragend«, sagte er schüchtern.
»O nein. Sie hätten mich am ersten Abend sehen sollen.«
»Ich habe genug gesehen«, sagte er. »Ich kann Ihnen eine kleine Rolle besorgen. Wollen Sie morgen ins Studio kommen?«
Er beobachtete ihren Gesichtsausdruck. In ihren Augen, in dem Schwung ihres Mundes leuchtete plötzlich überwältigendes Mitleid auf.
»Oh«, sagte sie. »Oh, das tut mir schrecklich leid. Joe hat ein paar Leute mitgebracht, und am nächsten Tag habe ich bei Bernie Wise unterschrieben.«
»Wirklich?«
»Ich wusste, dass Sie mich haben wollten, aber mir war nicht klar, dass Sie nur eine Art Aufseher sind. Ich dachte, Sie hätten mehr Einfluss –« Sie hielt inne und versicherte ihm dann schnell: »Oh, als Mensch mag ich Sie viel lieber. Sie sind viel kultivierter als Bernie Wise.«
Schmerz und Aufbegehren durchzuckten ihn. Nun gut, dann war er eben kultiviert.
»Kann ich Sie nach Hollywood mit zurücknehmen?«, fragte er.
Sie fuhren durch eine aprilmilde Oktobernacht. Als sie eine Brücke überquerten, deren Geländer Maschendraht sicherte, deutete er hin, und sie nickte.
»Ich weiß, was das heißt«, sagte sie. »Wie albern! In England bringt man sich nicht um, wenn man nicht bekommt, was man will.«
»Ich weiß. Man geht nach Amerika.«
Sie lachte und sah ihn beifällig an. Oh, sie konnte ihn doch beeinflussen. Sie legte ihre Hand auf seine.
[268] »Gutenachtkuss?«, fragte er nach einiger Zeit.
Pamela blickte zum Chauffeur hinter der Trennscheibe.
»Gutenachtkuss«, sagte sie.
Am nächsten Tag flog Jim an die Ostküste, auf der Suche nach einer jungen Schauspielerin, die ihr möglichst ähnlich war. Er suchte so verbissen, dass er von jedem Augenpaar mit liebreizend melancholischem Ausdruck und von jeder hellen englischen Stimme sofort eingenommen war. Es schien ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein, eine zweite Pamela Knighton zu finden.
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