Der kleine Buddha entdeckt die Kraft der Veränderung by Claus Mikosch

Autor:Claus Mikosch [Mikosch, Claus]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Herder
veröffentlicht: 2016-11-22T23:00:00+00:00

Der friedliche Mörder

Den restlichen Tag wanderte der kleine Buddha durch den riesigen Wald. Er hatte kein festes Ziel, sondern folgte einfach dem schmalen Pfad. Dabei dachte er viel an die Hexe, an all ihre weisen Worte und an die gemeinsamen Stunden mit ihr. Natürlich war er traurig, dass sie tot war, aber er freute sich auch für sie, weil sie ein langes und erfülltes Leben gehabt hatte. Nicht jeder hat das Glück, als alter und zufriedener Mensch zu sterben, dazu auch noch im eigenen Zuhause.

Die Nacht verbrachte er auf einem weichen Bett aus Moos, genau zwischen zwei Baumwurzeln. Nach den Ereignissen in der Höhle und dem langen Fußmarsch war er völlig ausgelaugt und schlief sofort ein. Er hatte noch nicht einmal Kraft zu träumen.

Es war schon später Vormittag, als er am nächsten Tag erwachte. Nachdenklich blieb er noch eine Weile auf dem Rücken liegen und blickte in den Himmel. Tausende Blätter des Baums, unter dem er lag, tanzten im Wind. Dem kleinen Buddha fiel plötzlich etwas ein, das ihm ein Bekannter einmal erzählt hatte: In einem anderen Teil des Landes gab es einen Friedhof, wo über jedem neuen Grab ein Baum gepflanzt wurde. Mit der Zeit verwandelten sich die Toten also in einen lebendigen Wald – aus Menschen wurden Bäume, welch wunderbare Vorstellung!

Schließlich machte er sich wieder auf den Weg und erreichte am frühen Nachmittag den Waldrand. Sein Magen knurrte und so kramte er in seiner Tasche nach etwas Essbarem. Sein Proviant war allerdings restlos aufgebraucht. Das Einzige, was er fand, waren die drei Jonglierbälle, die er von der Zirkusgruppe geschenkt bekommen hatte. Er hatte sie fast vergessen und begann sogleich, sie durch die Luft fliegen zu lassen. Doch sein Hunger war einfach zu groß, um in Ruhe jonglieren zu können. Also packte er die Bälle wieder in seine Tasche und marschierte weiter in der Hoffnung, irgendwo etwas zu essen zu finden.

Nach einer Weile kletterte er auf einen kleinen Hügel, um nach einem Dorf oder wenigstens einem Haus Ausschau zu halten. Doch weit und breit war nichts in Sicht. Er wollte gerade wieder von dem Hügel hinabsteigen, als er einen Mann den Weg entlangkommen sah. Schnell lief er den Hang hinunter und passte den Fremden ab.

„Hallo!“, begrüßte ihn der kleine Buddha, halb außer Atem.

Der Mann erschrak und blieb für einen Moment wie versteinert stehen.

„Ich will dich nicht belästigen“, fügte der kleine Buddha sogleich hinzu, „aber hast du zufällig etwas zu essen übrig?“

Der Mann schüttelte den Kopf. Er war mittleren Alters, hatte eine kräftige Statur und trug einen grauen Umhang.

„Weißt du, wo ich etwas bekommen könnte?“, fragte der kleine Buddha leicht verzweifelt, denn sein Magenknurren wurde immer stärker.

„Nein, leider nicht“, entgegnete der Mann. „Aber hier sind überall so viele Felder, irgendwo ist bestimmt ein Bauernhof. Ich hoffe es jedenfalls, denn ich habe auch Hunger.“

Sie begannen, nebeneinander herzuwandern.

„Wo gehst du hin?“, erkundigte sich der kleine Buddha.

„Ich weiß noch nicht. Ich folge einfach dem Pfad.“ Sofort hellte sich das Gesicht des kleinen Buddhas auf. Er freute sich immer sehr, wenn er jemandem begegnete, der ebenfalls ohne festes Ziel unterwegs war.

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