Das rote Schaf der Familie by Susanne Kippenberger

Das rote Schaf der Familie by Susanne Kippenberger

Autor:Susanne Kippenberger [Kippenberger, Susanne]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446246980
Herausgeber: Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag München 2014
veröffentlicht: 2014-08-19T17:00:00+00:00


Eine eigene Insel: Inch Kenneth

Wer hat nicht schon mal davon geträumt: eine eigene Insel! Selbst wenn sie winzig ist und in frostigen schottischen Gewässern liegt. Tagelang war Inch Kenneth manchmal durch den Sturm von der Welt abgeschnitten, Regenjacke und Gummistiefel waren die wichtigsten Kleidungsstücke, zur Begrüßung bekam jeder Gast eine Wärmflasche in die Hand gedrückt. Lady Redesdale war begeistert, selbst von der schaukelnden Überfahrt im offenen Boot. Das Wetter konnte ihrer guten Laune nichts anhaben, schließlich war sie halbe Schottin und stolz darauf, seit ihrer Kindheit geübte Seefahrerin und Lord-Nelson-Fan. Noch als Achtzigjährige stieg sie ins eiskalte Meer.

Ein grüner Fleck im Atlantik: Anderthalb Kilometer lang, kaum einen Kilometer breit, bildet das Eiland auf Landkarten nicht mehr als ein klitzekleines Pünktchen, wenn es überhaupt eingezeichnet ist. Immerhin, schon im 18. Jahrhundert haben der Schriftsteller Dr. Johnson und sein Kompagnon Mr. Boswell sie entdeckt und besungen, ob ihrer Schönheit und der Gastfreundschaft ihrer kultivierten Bewohner. Von einem weichen Teppich aus Grün überzogen, ist Inch Kenneth weit lieblicher als die meisten der fünfhundert Hebrideninseln, die schroff und unbewohnt sind, manche nicht mehr als ein Fels in der Brandung. Auf Inch Kenneth wogt im Frühjahr ein ganzes Meer von Osterglocken, blühen Iris und Butterblumen.

Seit der Aufhebung des militärischen Banns 1944 hatte Lady Redesdale jeden Sommer hier verbracht, und der Sommer reichte für sie von Frühjahr bis Herbst. Im Winter wohnte sie bei ihren Töchtern oder in der kleinen Chauffeurswohnung in London, das große Haus in der Rutland Gate hatte die Familie verkauft. Nach all den Dramen der 1930er Jahre und dem Tod ihrer zwei Kinder, hatte Lady Redesdale in der äußersten Abgeschiedenheit Frieden gefunden. Schon früher in der kanadischen Wildnis, wenn sie mit ihrem Mann wieder mal vergeblich Gold gesucht hatte, hatte sie das Leben in der einfachen Blockhütte ohne fließend Wasser genossen. Auf ihrer »prächtigen Insel« blühte sie erst recht auf.

Es reichte ihr, was sie aus Zeitung, Briefen und Radio von der Welt erfuhr. Die Post, Punkt vier Uhr nachmittags, war Höhepunkt des Tages, die Sechs-Uhr-Nachrichten der BBC so heilig wie anderen der Gottesdienst. Dringende Botschaften wurden per Telegramm übermittelt, dann hisste die Postfrau auf Mull die Fahne, damit der Fährmann die Nachricht abholen kam. So war es auch 1945, als Lord Redesdale seiner Frau das Telegramm schickte, das mit den Worten begann: »Ich weiß nicht, wie ich Dir dies sagen soll.« Tom war gefallen.

Von Ziegen umringt, mit einem Stock in der Hand, das Kopftuch fest unterm Kinn zusammengezurrt – auf Fotos sieht Lady Redesdale fast wie eine Hirtin aus. Sie war stolz auf ihre kleine Ponyzucht, lebte gerne mit Ebbe und Flut und vor allem mit ihrem engsten Gefährten, José. Als der Dackel starb, war die sonst so disziplinierte Stiff-Upper-Lipperin so traurig, dass sie nicht mal mehr Briefe schreiben konnte. Noch drei Jahre später sagte Lady Redesdale, dass José ihr fehle wie am ersten Tag.

Die englischen Enkel und Urenkel verbrachten ihre Sommerferien auf der Insel, mit ihnen hat sie, was sie mit ihren Töchtern nie tat, Marmelade eingekocht. Die Insel war ein



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