Das Feld by Robert Seethaler

Das Feld by Robert Seethaler

Autor:Robert Seethaler
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Bestseller, Beziehung, Deutschsprachige Literatur, Erinnerung, Tod
ISBN: 978-3-446-26066-5
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2018-01-20T05:00:00+00:00


Sophie Breyer

Idioten.

Heribert Kraus

Am Morgen. Die Straße ist nass. Von den Bäumen tropft es, darunter riecht es schon nach Herbst. Das Licht, als hätte es jemand über die Dächer gegossen. Jetzt läuft es daran herab, an Schornsteinen, Dachrinnen, Wänden, wie zähflüssiges Gold. Das Gurren und Flattern der Tauben klingt fremd. Es ist zu früh für klare Gedanken. Denk nicht, tritt in die Pedale, die Tour ist lang! Und die Beine noch steif. Es ist kalt. Das Fahrrad schwer. Aus Stahl, muss ja was aushalten. Die Taschen voll. Und Pflastersteine überall. Eine alte Stadt. Alte Häuser. Alte Straßen. Gut fürs Stadtbild, aber schlecht für Briefträger. Tritt in die Pedale, bald geht es leichter. Nur der Anfang ist hart. Der Anfang und das Ende.

Von der Leinestraße in die Thomasstraße geht es in den Tag hinein. Es blitzt in den Fenstern. Der Himmel ist so hell, dass es wehtut in den Augen. Über den Kernerplatz, am ältesten Baum vorbei. Der hohle Stamm, gerade weit genug, um drei Kinder zu verstecken. Die Tulpen. Das Gras. Das Erdloch. Ein Fuchs vielleicht. Ist wahrscheinlich nichts mehr zu holen, draußen auf den Feldern. Der Kindergarten. An der Wand schief gemalte Tiere. Giraffe. Elefant. Tiger. Das Nilpferd schielt, an den Schaukelstangen glitzert der Morgentau. Im Gras eine Mütze, wie eine gelbe Blume.

Karolinenstraße. Kornweg. Brückenstraße. An der Nummer drei beginnt die Tour. Die Nummern eins und zwei gibt es nicht. Niemand weiß, warum.

Und wie geht es der Kleinen?, fragt Frau Haller am Zaun. Zerknautschtes Gesicht, aber immer freundlich. Zupft an ihrem Morgenmantel herum. Immer nur dieser eine Morgenmantel, niemals ein anderer. Man sieht zu, wie er ausbleicht über die Jahre, wie das satte, leuchtende Rot zum blässlichen Lachsrosa verkommt. Und was sagen die Ärzte? Oh, so etwas wünscht man sich natürlich nicht. Aber was soll man machen. Die eigenen sind ja längst schon raus. Aus dem Schoß, aus dem Haus, aus allem, so ist das eben. Aber Ihres ist ja noch klein. Das kann einem schon leidtun. Ach so, schon weiter? Selbstverständlich. Schönen Tag. Bis morgen. Bis morgen!

Die Brückenstraße ist eine der besten. Nur alte Leute, wenig Post. Die Luft ist jetzt schon warm. Die Straße streckt sich in der Sonne, vor kurzem erst geteert und gleich wieder aufgeplatzt. Dunkle Risse. Löcher. Gräben. Die Stadt hat kein Geld. Niemand hat Geld, aber immerhin riecht es nach Kaffee. Nach Brot und Wurst und Honig und Kakao. Nach Speck und fetten Spiegeleiern. Nach Toilettendunst und Seifenschaum. Durch die offenen Fenster, an der Wäsche vorbei, atmen die Häuser die Reste der Nacht aus. Darunter liegen die ausgeschüttelten Träume im Gras. Wer hat das gesagt? Du selbst? Kaum zu glauben. Und ganz hinten steht immer noch Frau Haller, ein lachsrosa Fleck am Gartenzaun, und winkt.

Gespräche sind zu vermeiden, unbedingt. Die Einsamkeit der anderen ist nicht deine Einsamkeit. Hat Walther gesagt. Siebenundvierzig Jahre bei der Post und nur einmal krank. Nierenkolik. Zwei Tage Bett, Bauchwickel und Disteltee, dann wieder raus. Später hat er den Jungen die Touren beigebracht. Hat die Erweiterung auf zwei Zustellbezirke organisiert, danach auf vier.



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