Aqua Vitae - Ein literarisches Whisky-Tasting by Grol Karen & Brox Angelika

Autor:Grol, Karen & Brox, Angelika [Grol, Karen & Brox, Angelika]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik_Allgemein, Humor_Witz, Kochen_Genießen, Kurzgeschichten_Anthologien
Herausgeber: STORIES & FRIENDS Verlag
veröffentlicht: 2011-12-04T23:00:00+00:00

Wie man Gespenster zähmt

INKEN WEIAND

Das Haus ist ein Schnäppchen gewesen, denkt Connor. Für diesen Preis erhält man anderswo keine Hundehütte – und hier ein ganzes Anwesen!

An seinem ersten Abend macht er es sich in der geräumigen Halle gemütlich. Vor ihm knistert ein offenes Feuer und strahlt Behaglichkeit aus. Er sitzt in seinem Lieblingssessel, für den er sofort den richtigen Platz am Kamin gefunden hat. Neben ihm steht ein Umzugskarton als behelfsmäßiger Tisch. Ei mit Schinken, Toastbrot und eine gute Tasse Tee, das wird er zu sich nehmen, während er sich am Feuer wärmt.

Connor schaut den Flammen zu, wie sie rötlich-gelbe Figuren bilden, die sich schnell wieder auflösen. Er nimmt einen Schluck Tee. Dann blättert er durch den Kaufvertrag. Das Übliche – bis auf einen merkwürdigen Passus, der jegliche Haftung für Schäden durch übernatürliche Ereignisse ausschließt.

Er gähnt. Wahrscheinlich ist das hier Standard, überlegt er. In den Highlands glauben sie eben noch an Gespenster und ähnliche Erscheinungen.

Der Tee wärmt und entspannt, der Blick ins Feuer ebenfalls. Connor lehnt sich im Sessel zurück und schläft ein.

Ein Luftzug, der an seinem Gesicht vorbeiweht, weckt ihn, und ein furchterregendes Heulen lässt ihn hochfahren.

Auf der Umzugskiste sitzt jemand! Eine Gestalt im Kilt, mit tief liegenden, glühenden Augen im hageren Gesicht. Klagend erhebt sie die Hand gegen Connor, der sich vor Schreck nicht zu rühren wagt. Plötzlich löst sich die Gestalt auf und verschwindet. Nur ein leichter Rauchgeruch hängt noch eine Weile in der Luft, aber der kann auch vom Feuer kommen.

Connor sieht auf die Uhr: kurz nach Mitternacht. Die Teetasse liegt auf dem Teppich – vermutlich hat er sie im Schlaf umgestoßen.

Ihm ist der Appetit vergangen; er räumt die kalten Essensreste in die Küche.

Schlafen kann er auch nicht mehr, also packt er Kisten aus. Erst spät findet er den Weg ins Bett.

Dennoch ist er früh wieder auf den Beinen, stellt Regale auf, räumt Schränke ein und hängt Bilder an die Wände. Am Abend hat er alles fertig eingerichtet. Rechtschaffen müde, legt er sich schon um zehn Uhr nieder.

Doch seine Nachtruhe währt auch heute nicht lange. Connor wird von durchdringendem Geheul, Gläserscheppern und dem Bersten von Holz geweckt. Schauer jagen ihm den Rücken hinunter. Er springt aus dem Bett, läuft in die Halle, dann in die Küche, denn von dort kommen die Geräusche.

Der Boden ist übersät mit Glasscherben, einer seiner Hocker liegt zertrümmert dazwischen und soeben löst sich die hagere Gestalt der vorigen Nacht in Rauchschwaden auf.

Connor ist ein klar denkender, aufgeklärter Mensch, der nicht an Gespenster glaubt, und er wäre empört, wenn jemand ihm so etwas unterstellen würde. Doch die nächsten Tage und Nächte sind zermürbend für ihn. In jeder Nacht wird er geweckt durch markerschütterndes Gejammer und das Geräusch zersplitternden Geschirrs oder Mobiliars, jeden Morgen wacht er zerschlagen und übermüdet auf und von Tag zu Tag beginnt er mehr, an Gespenster zu glauben.

Endlich ist Connor so weit, dass er das Haus aufgeben und zu einem günstigen Preis verkaufen will. Als Schnäppchen sozusagen! Und im Vertrag wird auf jeden Fall diese Klausel stehen, dass er nicht für übernatürliche Ereignisse haftet.

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