Anna Karenina by Lew Tolstoi

Anna Karenina by Lew Tolstoi

Autor:Lew Tolstoi [Tolstoi, Lew]
Format: epub
Herausgeber: Mobile Read
veröffentlicht: 2009-07-27T16:00:00+00:00


17

Während Alexei Alexandrowitsch nach dem Hotel zurückfuhr, wo sein einsames Zimmer ihn erwartete, ließ er unwillkürlich in seinem Gedächtnisse die Eindrücke der bei und nach dem Essen geführten Gespräche noch einmal an sich vorüberziehen. Was Darja Alexandrowna vom Verzeihen gesagt, hatte ihn lediglich geärgert. Die Frage der Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit der christlichen Vorschrift auf seinen besonderen Fall war denn doch zu schwierig, als daß sie sich so obenhin erledigen ließe; auch hatte Alexei Alexandrowitsch diese Frage schon längst in verneinendem Sinne entschieden. Von allem, was heute bei Oblonskis gesagt worden war, hatten ihm die Worte des braven, einfältigen Turowzün den stärksten Eindruck gemacht: ›Er hat sich wacker und schneidig benommen; er hat ihn gefordert und erschossen.‹ Offenbar hatten alle dieses Verhalten gebilligt, wenn sie das auch aus Höflichkeit nicht ausgesprochen hatten.

›Übrigens ist diese Angelegenheit endgültig abgeschlossen, so daß es zwecklos wäre, noch weiter darüber nachzudenken‹, sagte sich Alexei Alexandrowitsch und war, als er sein Hotelzimmer betrat, mit seinen Gedanken nur noch bei seiner bevorstehenden Abreise und bei seiner Revisionsangelegenheit. Er fragte den Pförtner, der ihn nach seinem Zimmer begleitet hatte, wo sein Diener sei; der Pförtner erwiderte, der Diener sei diesen Augenblick weggegangen. Alexei Alexandrowitsch bestellte sich Tee, setzte sich an den Tisch, nahm das Kursbuch zur Hand und legte sich seine Bahnfahrt zurecht.

»Zwei Telegramme«, sagte der Diener, der zurückgekehrt war und ins Zimmer trat. »Verzeihen Euer Exzellenz, ich war den Augenblick vorher weggegangen.«

Alexei Alexandrowitsch nahm die Telegramme und öffnete das eine. Dieses meldete ihm die Ernennung Stremows für eben den Posten, den er, Karenin, für sich selbst gewünscht hatte. Alexei Alexandrowitsch warf das Telegramm auf den Tisch; er war ganz rot geworden, stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. »Quos deus perdere vult, dementat«1, sagte er, wobei er unter quos die Persönlichkeiten verstand, die bei dieser Ernennung mitgewirkt hatten. Er ärgerte sich nicht darüber, daß er nicht diese Stelle erhalten und man ihn offensichtlich übergangen hatte; aber es war ihm erstaunlich und unbegreiflich, daß man höheren Ortes hatte dafür blind sein können, daß dieser Schwätzer und Phrasenheld Stremow weniger als jeder andere für diese Stelle taugte. Wie hatte es den Leuten entgehen können, daß sie mit dieser Ernennung sich selbst und ihr eigenes Ansehen auf das schwerste schädigten!

›Gewiß noch etwas von derselben Sorte‹, sagte er ingrimmig bei sich, während er das zweite Telegramm öffnete. Es war von seiner Frau. Die mit Blaustift geschriebene Unterschrift »Anna« war das erste, was ihm in die Augen fiel. »Ich sterbe; ich bitte, ich flehe Sie an herzukommen. Mit Ihrer Verzeihung werde ich ruhiger sterben«, las er. Er lächelte verächtlich und warf das Telegramm hin. Daß dies nur ein schlauer Täuschungsversuch war, daran konnte, wie es ihm im ersten Augenblicke schien, kein Zweifel sein.

›Es gibt keinen Betrug, vor dem sie zurückschräke. Sie sieht ihrer Entbindung entgegen. Möglicherweise besteht die Krankheit nur in der Entbindung. Aber was haben sie dabei für einen Zweck? Das Kind ehelich zu machen, mich bloßzustellen und die Scheidung zu verhindern?‹ überlegte er. »Aber hier heißt es doch: ›Ich sterbe .



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