Alles, was draußen ist by Saskia Hennig von Lange

Alles, was draußen ist by Saskia Hennig von Lange

Autor:Saskia Hennig von Lange [Lange, Saskia Hennig von]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Jung und Jung Verlag
veröffentlicht: 2015-04-21T16:00:00+00:00


Wie kommt der Ton in den Kopf und wie kommt er wieder heraus, oder kommt er gar nicht heraus, sondern sitzt für immer darin, aber wo, und wenn er dort bleibt, warum sammelt er sich mit all den anderen Tönen nicht zu einem gigantischen Getöse, zu einem Getöse, das alles andere übertönt, jedes einzelne Klimpern und Klappern, jedes Ein- und Ausatmen. Aber der Mensch, der muss ja wissen, was er hört und warum und was er zuerst gehört hat, ein Rauschen, die Stimme der Mutter, und was er als Letztes hören wird. Und warum es Töne gibt, Reste von Stimmen, die dann doch irgendwo im Ohr, im Kopf hängen bleiben und dort nicht mehr weg wollen, selbst wenn man sich noch so sehr schüttelt und plagt und mit dem Kopf gegen alle Wände rennt. Wieso bleibt manches drinnen und manches nicht, und manches kommt gar nicht erst hinein. Und wieso manches von Anfang an da zu sein scheint, als wäre es schon vor einem da gewesen. Als hätte es schon gerauscht und getönt in meinem Kopf, bevor es diesen Kopf überhaupt gab. Woher das kommt, dieses Rauschen und Tönen in meinem Kopf, das wollte ich damals verstehen und will es noch immer. Das herauszufinden ist meine Aufgabe und niemandes sonst, darüber habe ich mit keinem gesprochen, und ich habe niemanden dazu befragt, und wie hätte mir das auch gelingen sollen, und was hätte es genutzt, wenn ein anderer darüber nachgedacht hätte. Denn es sind ja bloß meine Fragen, und also kann auch nur ich eine Antwort darauf finden, die kann mir ja sonst keiner geben, eine solche Antwort, die kann nur ich selbst finden, und die kann auch nur ich selbst gebrauchen. Und deswegen habe ich mit meiner Arbeit keinen Beitrag geleistet, zur Wissenschaft nicht und zu sonst auch nichts, und habe auch gar nicht einen solchen Beitrag leisten wollen und daher meine Fragen auch nicht öffentlich gestellt. Und erst dachte ich noch, später, später mache ich das vielleicht, wenn ich mehr weiß und meine Untersuchungen abgeschlossen sind, dann hebe ich die Hand und sperre meinen Mund auf, dann sage ich, was ich zu sagen habe. Da dachte ich, dass ich jetzt noch nicht genug wüsste, dass meine Überlegungen noch ganz am Anfang stünden, dass sich die Dinge unter meiner Betrachtung langsam verändern würden, dachte ich, und dass ich eines Tages mehr in ihnen sehen könnte als nur meine eigenen Fragen, und daher auch mehr würde wissen können. Das war vor meiner Zeit hier, im Anatomiemuseum, das war zu einer Zeit, in der ich bloß nachdachte über diese Fragen, eine Zeit, in der diese Fragen wirklich nur Fragen waren, die vor mir standen und die ich mir anschaute, und keine Dinge, in die ich meine Hände steckte. In dieser Zeit, da las ich viel und schaute in anatomische Atlanten und fertigte auch selbst Zeichnungen an, bastelte dreidimensionale Modelle oder Karten, Pläne, in denen ich mit rotem Stift die Wege eintrug, die, so glaubte ich damals und glaube es auch heute noch, der Ton durch die Höhlung des Ohres in den Kopf hinein nimmt.



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