Albert Camus - die Freiheit leben by Carl Hanser Verlag

Albert Camus - die Freiheit leben by Carl Hanser Verlag

Autor:Carl Hanser Verlag [Verlag, Carl Hanser]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446244443
veröffentlicht: 2014-11-05T05:00:00+00:00


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Wie überhaupt fast sämtliche politischen Traktanden des eifrigen Publizisten an der Macht der Realitäten auflaufen. Ob Spanien, ob Algerien, ob endlich Ungarn – nirgends darf er erfahren und erleben, dass auch nur spurenweise eine Kongruenz zwischen seinen Forderungen, Ermahnungen und Vorschlägen und den »Gegenständen« solchen Engagements aufscheint. Der Rebell steht auf verlorenem Posten. Die Position ist ihm inzwischen geläufig geworden. Im Falle Spaniens kann ihn das kaum verwundern: Wie wäre auch ein Regimewechsel denkbar ohne aktive Unterstützung durch die westliche Allianz, deren globale Strategie am bipolaren Gegensatz orientiert ist? Dasselbe passte auf den Ungarn-Aufstand vom Herbst 1956 – da ficht ein mutiges Volk den aussichtslosen Kampf gegen den Sowjetkoloss. Mithin bieten beide Länder primär Projektions- und Applikationsflächen für philosophisch untermauerte Gesellschaftskritik, wie sie im »Homme révolté« als Lehre von den Werten der Freiheit und als Warnung vor den Versuchungen des Totalitarismus kulminiert. Anderes als die beständige Sisyphosarbeit des Schreibens im Dienst von Gerechtigkeit, Humanismus und Moral bleibt nicht übrig.

Die einzige Ausnahme – im Sinn von Hoffnung auf praktische Veränderung – bildet Algerien. Hier ist Camus zudem auch unmittelbar betroffen. Es geht um seine Heimat. Dies wiederum lässt ihn als passionierten Anwalt eines Modells für die Kolonie erscheinen, das in den Augen nüchterner Analytiker niemals funktionieren könnte. Er will es nicht sehen, und er darf es nicht sehen können – jede Alternative wäre Verrat am Eigensten. – Seit den späten dreißiger Jahren bis zum Juni 1958, da alle wichtigen Artikel zum Thema bei Gallimard zusammengefasst als Buch unter dem Titel »Chroniques algériennes« erscheinen, lautet die Losung: Koexistenz. Doch die historische Entwicklung geht andere Wege. Zuerst und bis in die mittleren fünfziger Jahre diktieren Paris und die Statthalter in Algier eine Agenda, die von den Rechten der muslimischen Bevölkerung, gar von der Unabhängigkeit des Landes nichts wissen will. Minimale Zugeständnisse kommen zustande; das System an sich soll davon nicht betroffen sein. Als aber die Aufstände sowie die zunehmenden Terrorakte und die ihnen antwortenden Repressionen einer Art von Bürgerkrieg vorspuren, dreht sich die Lage ins Gegenteil. Jetzt ist aus anderen Gründen ein föderales Gebilde symmetrischer Rechte chancenlos geworden.

Letztlich entscheidet allein die Macht. Und während Camus zu später Stunde selbst eine räumliche Trennung für die dort lebenden Franzosen und die Einheimischen in Erwägung zieht, hat de Gaulle, der im Dezember 1958 nochmals zum Präsidenten der Republik gewählt wird, zuerst gedanklich, dann praktisch das Ruder herumgeworfen. Am 5. Juli 1962 wird für Algerien offiziell die Unabhängigkeit proklamiert. Im Zuge weltweiter Prozesse der sogenannten Dekolonialisierung ist dieses fait accompli unvermeidbar geworden, und Paris nimmt auch in Kauf, dass damit der Großraumpolitik der Sowjetunion in die Hände gespielt wird. Das sprichwörtliche Ende mit Schrecken hat einen über Jahrzehnte schwelenden Problemherd mit dem Sieg der Unabhängigkeitsbewegung zum Erlöschen gebracht. Die Rechnung haben jene pieds noirs zu begleichen, die hier über sehr lange Zeit ansässig waren und sich ihre Existenz aufgebaut hatten.32

Für Camus ist dieser Ausgang bitter. Seit dem Sommer 1958 äußert er sich nicht mehr öffentlich zum Thema Algerien. Schlimmer: Im Rückblick erweist sich der publizistische Einsatz, wie



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