Weiblichkeit by Susan Brownmiller
Autor:Susan Brownmiller [Brownmiller, Susan]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105615096
Herausgeber: FISCHER Digital
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Bewegung
Athene, Göttin der Weisheit und Göttin des Krieges, die Beschützerin der Städte, Schutzpatronin des Handwerks und Erfinderin, erfand auch eine bemerkenswerte Flöte. Zufrieden mit ihrer Leistung und der schönen Musik, spielte sie eines Tages bei einem Bankett im Olymp und erwartete begeisterten Applaus. Statt dessen bemerkte sie, daß Hera und Aphrodite hinter vorgehaltener Hand lachten. Verwirrt zog sie sich an einen Bach im Wald zurück, griff nach der Flöte und betrachtete ihr Spiegelbild im Wasser. Plötzlich begriff sie: Im Bemühen, den Atem in Musik zu verwandeln, blähten sich ihre Wangen komisch auf, und ihr Gesicht wirkte entstellt. Athene warf mit einem Fluch ihre schöne Erfindung ins Wasser. (Kenner des klassischen Altertums ordnen diese Geschichte einem späten Mythenzyklus zu.)
Meine Mutter brachte mir den Knicks bei, noch ehe ich fünf war. Auf das Stichwort: »Und das ist unsere Tochter Susan« nahm ich den Saum meines kurzen Faltenrocks in die Hände – Ellenbogen nach innen, Handrücken nach unten, Finger nach oben – und sank auf ein zartes Knie. Die Erwachsenen waren entzückt. Ich ebenfalls, denn Shirley Temple, Deanna Durbin und all die Bilderbuchprinzessinnen taten das gleiche. Ich hatte meine erste ernsthafte Lektion in weiblicher Bewegung gemeistert und stellte fest, mit Auszeichnung. Weiblich bewegen konnte ich mich immer ausgezeichnet. Ich wirke selbst in Hosen geschmeidig und gewandt. Wollen Sie erleben, wie ich die Augenbraue hebe? Ich habe das stundenlang vor dem Spiegel geübt. Bemerken Sie, wie ich die Augen rolle, wenn ich etwas Kluges sage, und meine Nase sich kräuselt, wenn ich lache? Jungmädchenhaftes Flirten bewußt eingesetzt. Den leicht geneigten Kopf? Das habe ich von Paula E. übernommen. Sie war das beliebteste Mädchen in der Volksschule. Und die Wölbung meines Nackens, der sanfte Schwung beim Heben von Arm und Hand? Das Ballett hat mich zu diesen Posen inspiriert. Dann gibt es noch mein flatterndes Winken, wenn ich mich verabschiede. Eine freie Version von Königin Elisabeth bei Staatsbesuchen. Ich weise nie mit dem Finger auf etwas, denn Mutter hat immer gesagt: »Man deutet nicht mit dem Finger!« Ich rolle mich noch immer verspielt wie ein Kätzchen auf einem Sofa zusammen.
Meine Vorbilder waren klassische Statuen, chinesische Elfenbeinschnitzereien und florentinische Kunst; ich beherrsche die kleine Geste, die sanfte Bewegung, das Drehen des Oberkörpers, die großen Augen. Ich stehe nur selten gerade, neige mich statt dessen lieber seitwärts, das eine Knie leicht angewinkelt, und strecke die Hüfte vor. Ich senke die Schultern, wenn ich den Arm hebe, achte auf die Balance von Ellbogen, Handgelenk und Fingern, wobei ich die Linie bewußt an jedem wichtigen Gelenk breche. Ohne sichtbare Anstrengung rauche ich eine Zigarette, esse ein Sandwich, betrachte meine Hand, setze mich in ein Taxi und bin mir immer voll der weiblichen Wirkung bewußt. Ich habe es ein Leben lang getan; ich werde es nie vergessen.
Oder doch? Was ist, wenn ich mich auf der Straße eilig durchs Gedränge schiebe, wenn ich mich in einer hitzigen Diskussion vergesse, wenn ich eine treffende Bemerkung mache, die aggressiv und schneidend ist? Hochgezogene Schultern, zusammengebissene Zähne, zusammengekniffene Augen und den Kopf vorgeschoben wie ein Stier beim Angriff? Der Oberkörper starr, gespannte Nackenmuskeln, ein heftig zuckender Daumen.
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