Das Alter by Beauvoir Simone de

Das Alter by Beauvoir Simone de

Autor:Beauvoir, Simone de [Beauvoir, Simone de]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Essays, Feuillton, Literaturkritik, Interviews
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-08-03T16:00:00+00:00


Was die Männer betrifft, so bestätigen die Statistiken – wie vielfach – oft nur das, was ohnehin jeder weiß: Die Häufigkeit des Koitus nimmt mit zunehmendem Alter ab. Diese Tatsache steht in Zusammenhang mit der Involution der Sexualorgane, die eine Schwächung der Libido mit sich bringt. Aber das Physiologische ist nicht allein ausschlaggebend. Zwischen den Verhaltensweisen der Individuen gibt es beträchtliche Unterschiede: Manche sind mit 60 Jahren impotent, andere noch mit über 80 Jahren sexuell sehr aktiv. Man muss sehen, wie diese Unterschiede zu erklären sind.

Der erste Faktor, dessen Bedeutung klar vor Augen liegt, ist der Familienstand. Bei verheirateten Männern22 ist der Koitus weitaus häufiger als bei Junggesellen oder Witwern. Bei den Ersteren erzeugt das Zusammenleben mit dem Partner erotische Wünsche; die Gewohnheit und die ‹Komplicenschaft› begünstigen ihre Befriedigung. Die ‹psychischen Barrieren› sind wesentlich leichter zu überwinden. Die Mauer, die das Privatleben umgibt, schützt den alten Gatten gegenüber der öffentlichen Meinung, die im Übrigen den legitimen Liebesbeziehungen alter Menschen wohlwollender gegenübersteht als den illegitimen. Er fühlt sich in seinem ‹Bild› weniger gefährdet als ein anderer. Man muss verstehen, was dieses Wort hier bedeutet. Während die Frau als Objekt sich von ihrer Kindheit an mit dem ganzen ‹Bild› ihres Körpers identifiziert, findet der kleine Junge in seinem Penis ein alter ego: In seinem Penis erkennt sich der Mann sein Leben lang, in ihm fühlt er sich bedroht. Das narzisstische Trauma, das er fürchtet, ist das Versagen seines Geschlechts: die Unmöglichkeit, zur Erektion zu gelangen, die Erektion zu erhalten und seine Partnerin zu befriedigen. Diese Furcht ist im Eheleben weniger beängstigend. Das Individuum kann den Augenblick mehr oder weniger frei wählen. Ein misslungener Versuch wird nachsichtig mit Schweigen übergangen. Infolge des Vertrautseins mit dem andern wird dessen Urteil weniger gefürchtet. Der verheiratete Mann ist weniger besorgt und deshalb weniger gehemmt als ein anderer. Darum behalten viele sehr alte Paare den sexuellen Verkehr bei: Beobachtungen, die von Sozialhelferinnen und Soziologen angestellt wurden, bestätigen die von mir zitierten Umfragen.

Dennoch gibt es sehr viele verheiratete Männer, die nur noch sehr selten oder gar keinen Verkehr mehr haben. Wenn die Involution der Sexualorgane vorzeitig eintritt, so erklärt sich das oft aus Gründen, die nichts mit Sexualität zu tun haben: physische oder geistige Ermüdung, Sorgen oder Gebrechen und in manchen Fällen auch zu üppige Ernährung oder übermäßiger Alkoholkonsum. Dass selbst der noch junge Mann sexuell das Bedürfnis nach Partnerwechsel hat, ist bekannt: Die Monotonie tötet bei ihm die Begierde. Im Alter wird er einer zu vertrauten Gefährtin müde, umso mehr, als sie gealtert ist und ihm nicht mehr begehrenswert erscheint. Viele Männer gewinnen ihre Manneskraft wieder, wenn sie – sofern sie die Möglichkeit dazu finden – die frühere Partnerin gegen eine neue, meist jüngere, tauschen.

Die Witwerschaft ruft oft ein Trauma hervor, das den Witwer für eine mehr oder weniger lange Zeit oder auch für immer von jeder sexuellen Betätigung abhält. Witwer und alte Junggesellen finden weit schwerer als verheiratete Männer ein Objekt für ihre Libido. Meist haben sie ihre Verführungskraft eingebüßt und erleiden Schiffbruch, wenn sie ein Abenteuer suchen.



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