messy lives by Katie Roiphe

messy lives by Katie Roiphe

Autor:Katie Roiphe [Roiphe, Katie]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-09-20T16:00:00+00:00


unstille amerikaner

1

Auf den plüschig-roten Fluren des Hotels Metropole in Hanoi verbrachte ich mehr Zeit, als streng genommen nötig gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund war ich zu der Überzeugung gelangt, unbedingt das Innere von Suite 228 sehen zu müssen, die in der umfangreichen Hotelliteratur den Namen »Graham Greene Suite« trägt. Greene, auf den ich seit geraumer Zeit latent fixiert war, hatte während der fünfziger Jahre darin gewohnt. Ich war nebenan abgestiegen, in Suite 226, und nachdem ich mich tagelang gefragt hatte, wie in die 228 hineinzukommen wäre, sah ich schließlich den Wagen des Zimmermädchens davorstehen. Als das Mädchen herausgehuscht kam, um seinen Vorrat an Aloe-Shampoos und Mandelseifchen aufzufüllen, schlich ich mich durch die halboffene Tür. Drinnen fand ich einen leeren Mahagoni-Schreibtisch, eine Messinglampe, ein Kingsize-Bett mit einer modern gestreiften Tagesdecke und einige dünnbeinige, ebenfalls gestreifte französische Sofas vor. Meine Enttäuschung war groß. Die Einrichtung ließ sowohl Greenes geliebte Schäbigkeit – er bedauerte später, das Wort »schäbig« populär gemacht zu haben – als auch seine Eleganz vermissen, was natürlich nicht allzu überraschend war. Das Metropole war nach dem Krieg entkernt und vollständig saniert worden. Aber auch ohne diesen Hintergrund hätte ich aus Erfahrung wissen müssen, dass eine solche

literarische Pilgerreise ihr Versprechen nie hält: Der Autor ist tot, und das, was von ihm bleibt, steht in seinen Büchern.

Glücklicherweise sind in Greenes Fall die Bücher überall. In Hanoi ist es so gut wie unmöglich, eine Straße entlangzulaufen und dabei nicht über eine himmelblaue Penguin-Ausgabe von The Quiet American (Der stille Amerikaner) zu stolpern. Wenn man genau hinschaut, merkt man, dass das Schwarzweißfoto auf dem Umschlag – ein Gewehrlauf, der zwischen hohen Gräsern hervorlugt – leicht unscharf ist, und wenn man durch das Buch blättert, sind auch die Wörter unkonturiert, was daran liegt, dass es sich um vom Original abfotografierte Raubkopien handelt. Als ich die mir so gut bekannten fröhlich-blauen Buchumschläge zum ersten Mal entdeckte, war ich wie vor den Kopf gestoßen – als ob meine eigene Beziehung zu dem Buch an Wert verlöre. Zu sehen, wie Greenes moralisch komplexer, visionärer Roman an Touristen verhökert wurde, machte mir irgendwie zu schaffen. Aber wird am Ende nicht alles an Touristen verhökert, und war ich, genau genommen, nicht auch Touristin? In gewisser Hinsicht ist seine kommerzielle Allgegenwart ein Phänomen, das das Buch sich selbst hätte voraussagen können. Der Roman nämlich prophezeit ein der, wie es dort heißt, »Dollar-Liebe« verfallenes Vietnam – und im Gegenzug genau diesem Vietnam verfallene Westler.

Als wir nach Hanoi kamen, hatten mein damaliger Mann und ich schon fast einen Monat lang Asien bereist. Ich bemerkte mittlerweile überall, wo wir hinkamen, massenhaft kleinste, unter der Hand vonstattengehende Transaktionen, denen gegenüber ich zunächst blind gewesen war: Ein Taxifahrer bringt einen zum Hotel eines Freundes und bekommt einen Anteil; ein Kellner dreht einem ein teures Gericht an und bekommt einen Anteil; ein Fremdenführer schleppt einen in ein Seidengeschäft und bekommt einen Anteil; und dann muss es immer noch weitere Menschen geben, die Anteile von den Anteilen kriegen. Wenn man diese Transaktionen aus der Nähe betrachtet, beschleicht einen



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