Die Nächte der Tino von Bagdad by Else Lasker-Schüler

Die Nächte der Tino von Bagdad by Else Lasker-Schüler

Autor:Else Lasker-Schüler [Lasker-Schüler, Else]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen, Gemeinfrei
ISBN: 3423106441
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 1985-12-31T23:00:00+00:00


Der Großmogul von Philippopel

Der Großmogul von Philippopel sitzt im Garten des Reichspalastes in der Sultanstadt; kommt ein fremdes Insekt von Abend her und sticht ihn auf die Spitze seiner Zunge. Er hat nämlich die Angewohnheit, sie beim Nachdenken auf der Unterlippe ruhen zu lassen. Und trotzdem die Ärzte dem Unfall keine weitere Bedeutung beilegen, geschieht es dennoch, daß der erhabene Herr sich einbildet, nicht mehr reden zu können. Und auf andere Weise sich verständlich zu machen, lehnt er mit Finsternis ab; das ist ein unabsehbarer Schaden für das Land. Züge von kasteienden Priestern ziehen durch die Straßen Konstantinopels, und auf den Knien vor Allah liegt der Sultan. Seine beiden Söhne ruft er zu sich in sein Privatgemach: »Buben, ihr müßt ein Handwerk erlernen!« –

Könige mit spitzen Krummschnäbeln drohen schon lange den Balkan aufzufressen und allein die Geschicklichkeit des Großmoguls verschanzte die Beute. Und von den Dächern der Häuser und öffentlichen Gebäude, von der Kuppel der großen Moschee rufen Knaben Berichte aus über das Befinden des verstummten Ministers. –

Meine Tante schüttelt behäbig den Kopf, sie sitzt auf ihrem Dach und heißt Diwagâtme. Sie ist eine der dreißig Frauen meines reichen Oheims gewesen, er aber und ihre Nebenfrauen sind an ihrer Klugheit gestorben, neunundzwanzig Mumien um das Grabmal meines Oheims. Ich weile bei ihr ihres wunderherrlichen Sohnes Hassan wegen, denn ich bin eine Dichterin. Hassan und ich weinen immer abends heimlich unter großen Sternen – wir können uns nicht heiraten; Diwagâtme will uns keinen Palast bauen. Aber sie gibt mir den Rat, einen wundertätigen Trost zu erdichten, da es sich nur um das rechte Wort handle, die behexte Zunge des Großmoguls von Philippopel zu lösen. »Ein Honigstrom möge seine Gunst dich umfließen, mein Kind.« Und Krüge mit abendländischem, sündigem Getränk füllt die kluge Tante für die lechzenden Kehlen der grimmigen Türhüter des Reichspalastes. – Fremdgekleidete Weise und Ärzte wandeln zwischen den Säulen der Höfe auf und ab, reißen an ihren Bärten, beraten und streiten sich einander, und dazwischen die näselnden Schreie der Esel aus den Ställen. Und ich gelange unbemerkt zu dem schweigenden Großmogul; und über Kreuz liegen meine Arme auf der Brust und mein Schleier zittert. Aber der erhabene Herr hebt das rotumbartete Haupt näher meinen zaubernden Lippen, und seine Stimme erschallt dröhnender wie je zu seinen Redezeiten. Auf sein Quastenkissen zieht er mich neben sich und er betastet meine Wangen, meine Augen, meine Stirne, und der Schleier zerreißt, und mein Atem flattert nur noch unter seiner schweren Freude. »Wir sind jetzt ein Staat, ein Volk!« ruft er. Aber als die Weisen und Ärzte und die Bürger von den Straßen und der Sultan auf der Schulter seines Schnelläufers in den Garten des Reichspalastes stürmen, senkt der Großmogul von Philippopel abermals sein Haupt und verfällt in Stummheit. Ich aber muß seines schwarzen Dieners Bericht bestätigen. In den großen Saal des Reichspalastes werde ich geführt, dort nehmen Schreiber vom Amte meine erdichteten, wundertätigen Worte auf, und die Staatsmänner bilden einen Chor um mich, und der Sultan nickt dazu immer herablassend mit dem Kopfe, und ich bin schon ganz müde vom Wiederholen meines erdichteten wundertätigen Trostes.



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