Wirtschaft braucht Anstand by Erik Lindner

Wirtschaft braucht Anstand by Erik Lindner

Autor:Erik Lindner [Lindner, Erik]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455307092
Herausgeber: Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
veröffentlicht: 2015-05-27T00:00:00+00:00


»Im Fernsehen sieht man eine Facette meiner Person. Es wäre todtraurig, wenn ich nur diese eine Seite hätte. Aber das ist eben die, die ich im Fernsehen zeige.« Dieses Ende 2009 veröffentlichte Zitat stammt nicht vom längst routinierten Talkshowgast aus Burladingen, sondern von der Viva-Moderatorin Gülcan Kamps. Die siebenundzwanzigjährige Schwiegertochter des ehemaligen Inhabers der Bäckereikette Kamps versteht es, ihren Auftritt zu inszenieren. Sie kultiviert ihr Image als aufgedrehte, dralle Blondine, die stundenlang Partystimmung verbreiten möchte. Gülcan Kamps lebt vom Fernsehen. Daher arbeitet sie unausgesetzt an ihrer Medienpräsenz. Entsprechend freut sie sich über Komplimente und selbst über Beleidigungen jeder Art, denn in ihnen sieht sie einen Indikator ihrer Prominenz und damit letztlich ihres Marktwerts.

Die zielgruppenorientierten Bonmots und kameragerechten Verrenkungen einer aufwändig gestylten Moderatorin, die gelegentlich sogar schauspielert, finden sich auf der einen Seite der Medaille gegenwärtiger Fernsehselbstdarstellung, Wolfgang Grupp auf der anderen. Die lockere Blonde und der korrekte Unternehmer wollen das Gleiche: Menschen erreichen, für sich einnehmen und davon profitieren. Frau Kamps wird für ihre unterhaltende Rolle bezahlt, während Herr Grupp in TV-Sendungen eingeladen wird und darüber hinaus teure Werbesekunden der ARD abonniert. Beide machten sich zur charakteristischen, unverwechselbaren Marke mit hohem Wiedererkennungswert. Beide gehören zum Repertoire des medialen Angebots.

Anfang März 2010 saß Wolfgang Grupp wieder einmal bei Menschen bei Maischberger. Die Sendung wollte wie schon einige andere Talkrunden vor ihr die Debatte aufgreifen, die FDP-Chef Guido Westerwelle Mitte Februar mit seiner Attacke gegen vermeintlich dekadente Arbeitslose, die sich auf Hartz-IV-Bezügen ausruhten, im Politik- und Medienbetrieb ausgelöst hatte. In Maischbergers Runde sollte es in provokanter Zuspitzung um »Ihr da oben, Ihr da unten: Wer sind die wahren Asozialen?« gehen. Wer war eingeladen? Die Fraktionsgeschäftsführerin der Linkspartei im Bundestag, Dagmar Enkelmann, Martin Lindner von der FDP, zwei Langzeitarbeitslose, der windige Immobilieninvestor und Spekulant Thomas Kramer aus Miami sowie der bodenständige Textiler Wolfgang Grupp aus Burladingen. Letzteren stellte die Moderatorin als »Deutschlands meinungsstärksten Unternehmer« vor. Ob Sandra Maischberger ahnte, welches Streitpotenzial sie und ihre Redaktion da zusammengetrommelt hatten?

Die von 22.30 Uhr an bundesweit gezeigte WDR-Talkshow wurde nicht live gesendet. Vielmehr hatte man sie am späten Nachmittag in einem Kölner Studio vorproduziert. Gleich nach dem Ende der Aufzeichnung war Grupp in seinen Mercedes gestiegen und hatte seinen Chauffeur angetrieben, ihn bis zum Sendebeginn nach Hause zurückzufahren. Eine Minute vor Beginn waren die vierhundertfünfzig Kilometer bewältigt, und der Meinungsstarke nahm neben seiner Frau vor dem heimischen Fernsehgerät Platz.

Die Show begann damit, dass zunächst die Berliner Politiker von FDP und Linkspartei zu Wort kamen. Auf sie folgte der dem breiten Publikum kaum bekannte Immobilieninvestor, der durch einen Einspielfilm porträtiert wurde. Er sei ein kurzzeitiger Schwiegersohn der Verlegerfamilie Burda gewesen, habe in Deutschland zu Beginn der neunziger Jahre agiert und dann in Florida mit Bauprojekten Millionen verdient. Kramer wurde als Bewunderer des Tycoons Donald Trump beschrieben und zudem mit Aufnahmen vor seiner Villa als Jetsettyp in Szene gesetzt. Vor den Fernsehkameras vertrat er die Ansicht, in Deutschland sei das Klima nicht unternehmer- und investorenfreundlich, gerade wegen der Lohnnebenkosten. Deshalb sei er in die USA gegangen, wo man wirklich etwas bewegen und Arbeitsplätze schaffen könne.



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