Wir Ertrunkenen by Carsten Jensen

Wir Ertrunkenen by Carsten Jensen

Autor:Carsten Jensen
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: PeP eBooks
veröffentlicht: 2011-09-06T22:00:00+00:00


Am späten Nachmittag saß er in seiner Badewanne und bereitete sich auf das Abendessen vor, als er eine Art Stich in seinem Herzen spürte. Ein weniger stolzer und unbeugsamer Charakter als er hätte es Angst genannt. Wieder kreisten seine Gedanken um Klara Friis. Bei den Leuten gab es dieses Moralinsaure. Was würden sie wohl sagen, wenn sie ihn plötzlich mit einer Frau zusammen sahen, die so viel jünger war als er? Das Monster O’Connor hatte mit seinen Fäusten zugeschlagen, aber man konnte einem Mann auch auf andere Weise Schaden zufügen. Die Zunge war vielleicht die gefährlichste Waffe. Wurde er vor den Gerichtshof des Klatsches gezerrt, gab es keine Berufung. Hier bedeutete das Gesetz gar nichts.

Aber konnte es ihm nicht egal sein? Er hatte in seinem Leben mehr als genug getan. Er hatte sich Achtung erworben. Er hatte eine Flotte von Schiffen aufgebaut. Seine Arbeit war beendet. Aber er lebte weiter – und gab es denn in diesem Nachleben nicht auch eine neue Freiheit?

Er stieg aus der Badewanne und begann sich abzutrocknen. Er schaute zum Spiegel, der vom Dampf des heißen Wassers beschlagen war, und rieb mit dem Handtuch ein rundes Bullauge in die matte Fläche, um sich betrachten zu können. Er hatte seinen Körper selten mit den Augen anderer gesehen. Für ihn war es ein Arbeitsgerät. Stärke und Ausdauer waren der Maßstab, den er anlegte, egal, ob er an Deck eines Schiffs stand und gegen die See kämpfte oder seine harten Muskeln einsetzen musste, um sich bei Männern Respekt zu verschaffen, die ihren Platz nicht kannten. Wie lange konnte er sich wach halten, wenn ein Sturm seine ständige Anwesenheit auf Deck erforderte? Wie groß war die Autorität, die er ausstrahlte?

Im Spiegel sah er, dass sein Brustkorb eingefallen war und sich lange Hautfalten von den Schultern zu den schlaffen Muskeln zogen, die ihr eigenes Gewicht nicht länger tragen konnten. Das gekräuselte Haar, das seine Brust bedeckte, war schon seit vielen Jahren grau. Bekleidet erschien ihm sein Körper noch genauso stramm wie früher.



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