Winterapfelgarten by Janson Brigitte
Autor:Janson, Brigitte [Janson, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-09-02T22:00:00+00:00
14. Kapitel
»Auf Nimmerwiedersehen, du kaltes Haus«, sagte Elisabeth und lieà ihren Blick ein letztes Mal über die hohe weiÃe Fassade gleiten. Alle Rollläden waren zugezogen, die Heizung war aus, und im Vorgarten stand ein groÃes Schild: »Zu verkaufen«.
Vierzig Jahre lang hatte Elisabeth hier gewohnt, aber sie verspürte keinerlei Bedauern darüber, dass diese Zeit nun vorbei war. Nur unendliche Erleichterung.
Ein frischer Herbstwind zerrte an ihrer Jacke. Der November brachte deutlich niedrigere Temperaturen ins Land. Höchste Zeit, sich an einen wärmeren Ort aufzumachen. Wohin genau sie fahren wollte, wusste Elisabeth noch nicht. Nur dass sie wegwollte, das war ihr endlich klargeworden. Weg von den Erinnerungen an Hans-Georgs Krankheit, weg von diesem Leben, das nicht mehr ihres gewesen war. Weg auch von ihrer Schwägerin Edwine Fischer, die sie täglich anrief und ihr von der Seniorenresidenz vorschwärmte. Erst vor zwei Tagen war sie mit einer groÃen Neuigkeit gekommen.
»Eine Zwei-Zimmer-Wohnung, Elisabeth. Direkt neben meiner. Mit Balkon zur Elbe raus. Das ist wie ein Sechser im Lotto. Die alte Frau Wiedebrecht ist gestern Nacht gestorben. Ich habe schon für dich den Antrag vorbereitet. Die Warteliste ist lang, aber ich kann meine Beziehungen spielen lassen.«
Elisabeth hatte einen eisigen Schauder gespürt. In die Wohnung einer eben erst verstorbenen Frau ziehen und so lange dort bleiben, bis sie selbst den letzten Atemzug tat. Sollte so ihre Zukunft aussehen? Grauenvoll, einfach grauenvoll. Und â verlockend, beruhigend. Keine wilden Träume mehr, keine Zweifel, kein schlechtes Gewissen dem toten Mann gegenüber, weil sie nun ihre Tage ohne ihn genieÃen würde. Nur ein ruhiges, farbloses Nichts.
Dies war der Moment, in dem Elisabeth begriff, dass sie handeln musste. Einmal noch das Leben kennenlernen, bunt, prall, voller Musik. Einmal neue Menschen treffen, fremde Länder sehen, Erfahrungen sammeln. Gute oder schlechte. Ganz gleich. Wenn sie jetzt den Mut nicht fand, so würde sie ihn für immer verlieren. Ihre Schwägerin musste begreifen, dass Elisabeth nicht vorhatte, ihre Gesellschafterin zu werden, nachdem sie jahrelang die Pflegerin ihres Bruders gewesen war. Sie hatte etwas Besseres verdient.
»Ich melde mich bei dir«, hatte sie nur gesagt und dann das Telefon ausgestöpselt. Ein Mobiltelefon besaà sie nicht, sie war also unerreichbar.
Thomas war mit Phil derzeit auf den Malediven. Sie würde sich bei ihm melden, sobald sie die erste Station ihrer Reise erreicht hatte. Natürlich ging er davon aus, sie werde in Hamburg bleiben. In den vergangenen Monaten hatte sie ihre Pläne mit keinem Wort mehr erwähnt.
Tatsächlich war sie selbst schrecklich unsicher gewesen. Mal räumte sie in der Villa unzählige Schubladen aus und lieà Möbel abholen, mal saà sie tagelang nur in ihrem Lieblingssessel und starrte blicklos auf den Fernseher. Dann wieder wählte sie Kleidung für ihr groÃes Abenteuer aus und brachte den Rest zur Wohlfahrt. Doch schon am selben Abend lief sie unruhig durchs Haus, holte Nippes wieder hervor und zog ins Gästezimmer, weil sie dort besser schlief.
»Du bist dünn geworden«, sagte Edwine, als Elisabeth sie besuchte. »Dünn und noch knochiger als sonst. Und ganz grau im Gesicht.«
Kein Wunder, dachte Elisabeth. Bei dem ganzen Hü und Hott habe ich keinen Appetit, und an der frischen Luft bin ich auch nie.
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