Wer hat das Ave Maria geklaut? by Peter Paul Kaspar
Autor:Peter Paul Kaspar
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Pustet
veröffentlicht: 2016-11-15T00:00:00+00:00
Liebeskummer zur Hochzeit
Schubert: Ave Maria
Glücklicherweise kennen die Brautpaare, die sich Schuberts „Ave Maria“ zur Hochzeit wünschen, kaum den tieftraurigen Charakter des Textes: das Gebet einer Jungfrau für ihren kranken Vater.
Es gehört zu den notorischen Hochzeitsgesängen, obwohl es mit Ehe und Liebe nichts zu tun hat. Es enthält auch keineswegs den Text des berühmten katholischen Mariengebets, weshalb es vielleicht bei evangelischen Trauungen unpassend erscheinen würde, ja es ist überhaupt nicht für den Gottesdienst geschrieben worden, sondern stammt aus einem 1826 veröffentlichten Zyklus von Gesängen aus dem Roman des damals – auch von Schubert – gerne gelesenen englischen Autors Walther Scott (1771–1832) mit dem Titel Das Fräulein am See. Das fünfte dieser sechs Lieder, Ellens Gesang, wird wegen der Anfangsworte „Ave Maria“ auch kirchlich verwendet. Die jedoch tatsächlich gemeinte Botschaft dieses reizvollen Schubert-Liedes ist es wert, dass man um sie weiß. Denn im Ablauf des damals auch im deutschen Sprachraum beliebten Romans betet Ellen in einer Felsengrotte für ihren verfolgten Vater das besorgte Gebet einer Tochter:
Ave Maria! Jungfrau mild
erhöre einer Jungfrau Flehen,
aus diesem Felsen starr und wild
soll mein Gebet zu dir hinwehen.
Wir schlafen sicher bis zum Morgen,
ob Menschen noch so grausam sind.
O Jungfrau, sieh der Jungfrau Sorgen,
o Mutter, hör ein bittend Kind!
Ave Maria!
Wir haben es also in Schuberts Liedgesang mit dem Kummer einer jungen Frau zu tun, die um das Leben ihres Vaters fürchtet und daher für ihn in ihrem – von heutiger Rationalität und selektiver Gläubigkeit unangekränkelten – frommen Gottvertrauen betet. Und so wendet sie sich in ihrem Kummer an Maria, die Jungfrau und „Trösterin der Betrübten“, nach der damals konfessionell gepflegten Heiligenverehrung gerade die richtige Adresse für ihre Bitten:
Ave Maria! Reine Magd!
Der Erde und der Luft Dämonen,
von deines Auges Huld verjagt,
sie können hier nicht bei uns wohnen,
wir woll’n uns still dem Schicksal beugen,
da uns dein heil’ger Trost anweht;
Der Jungfrau wolle hold dich neigen
dem Kind, das für den Vater fleht.
Ave Maria!
Die wenigsten Hochzeitsgäste bemerken, dass die Anrufung der Mutter Jesu nur in diesen beiden Anfangsworten, zwar wie ein Refrain wiederholt, jedoch nicht im sonst gesungenen Text vorkommt. (Manchmal wird der Musik Schuberts auch das lateinische Ave Maria holprig und gegen jede musikalische Rhetorik unterlegt.) Tatsächlich ist das Ave Maria ein uraltes katholisches Gebet, das bei evangelischen Christen wegen deren Ablehnung jeglicher Heiligenverehrung nicht üblich ist. Um es zugespitzt zu sagen: Das Lied Schuberts wird zwar volkstümlich so genannt, ist aber kein Ave Maria, sondern die Vertonung eines aus dem Englischen übersetzen Gedichtes, dessen Anfangsworte so lauten. Als Hochzeitslied ist das bekümmerte Gebet eines um ihren Vater besorgten traurigen Mädchens eigentlich wenig passend. An dieser Stelle ist man froh, dass der gesungene Text häufig unverstanden im Kirchenraum verklingt:
Ave Maria! Unbefleckt!
Wenn wir auf diesen Fels hinsinken
zum Schlaf, und uns dein Schutz bedeckt,
wird weich der harte Fels uns dünken.
Du lächelst, Rosendüfte wehen
in dieser dumpfen Felsenkluft,
O Mutter, höre Kindes Flehen,
o Jungfrau, eine Jungfrau ruft!
Ave Maria!
Was für heutige Ohren reichlich sentimental klingen mag, entsprach vor 200 Jahren durchaus dem romantischen Zeitgefühl. Deshalb gehört Schuberts Originalfassung mit Klavier aus guten Gründen zu den Schmuckstücken eines Liederabends, gern auch als Zugabe gesungen.
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