Wem gehört die Zukunft? by Jaron Lanier
Autor:Jaron Lanier [Lanier, Jaron]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455851137
Herausgeber: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH
veröffentlicht: 2014-11-30T16:00:00+00:00
Digitale und prädigitale Theokratie
Wenn wir eine Welt schaffen wollen, die gut ist für den Menschen, dann muss der zunehmenden Gleichsetzung von Menschen und Maschinen entgegengewirkt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass dem technischen Fortschritt eine Philosophie zugrunde gelegt wird, in der Menschen keine herausgehobene Stellung mehr innehaben. Was aber ist eigentlich so besonders am Menschen? Müssen wir auf die Metaphysik oder das Übernatürliche zurückgreifen, um uns selbst zu rechtfertigen?
Ich möchte mich in diesem Buch starkmachen für das, was ich die »humanistische Informationsökonomie« nenne. Zum Humanismus kann auch eine Form des Dualismus gehören. Dualismus bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man nicht nur von einer einzigen Ebene der Wirklichkeit ausgeht. Für manche Menschen bedeutet dies, dass es noch eine Ebene des Spirituellen neben der Ebene des rein Gegenständlichen gibt oder auch eine Form des Jenseits. Für mich heißt es erst einmal nur, dass weder die physikalische Realität noch die Logik alles erklären können. Als skeptischer Dualist unternimmt man eine Gratwanderung: Auf der einen Seite lauert der Abgrund des Aberglaubens, auf der anderen Seite ein billiger Reduktionismus.
Dualismus legt nahe, dass es einen Unterschied zwischen Menschen und Maschinen gibt, auch wenn diese Maschinen sehr fortgeschritten sind. Wenn ein Kind sprechen lernt oder wenn es lernt, Fragen zu stellen, dann erlernt es immer auch komplexe Fähigkeiten wie das Erkennen von Kontexten, es erlernt emotionales und moralisches Verhalten, die unsere maschinellen Erfindungen nicht erzeugen, sondern nur zusammenmischen können.
Viele meiner Freunde aus der Technologie-Szene glauben, dass ich an einer sentimentalen und willkürlichen Konvention festhalte, wie sie mir sagen. Ich halte daran fest, weil ich mich der Wahrheit verpflichtet fühle, und einen pragmatischen Grund habe ich auch: Ich wünsche mir den Fortbestand der Freiheit – für Menschen.
Der Glaube, dass Menschen etwas Besonderes sind, ist unter Technokraten eine Minderheitenposition, und das möchte ich gerne ändern. Die Art, wie wir das Leben erfahren – nennen wir es »Bewusstsein« –, passt nicht in ein materialistisches oder informationelles Weltbild. In letzter Zeit spreche ich lieber direkt von »Erfahrung«, weil die gegnerische Seite jetzt auch den Begriff »Bewusstsein« in Beschlag genommen hat. Der Begriff kann heute auch schon für das »Selbstbild« stehen, das in einem Roboter erzeugt werden kann.
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