Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist by Bollmann Stefan
Autor:Bollmann, Stefan [Bollmann, Stefan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-DVA Sachb./Belle.
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
V.
WIE MAN SEIN LIEBESLEBEN ERNEUERT – UND RICHTIG ÜBER SEX SPRICHT
»Also das wäre Verbrechen …
Dass ich Natur und Kunst zu schauen mich treulich bestrebe
Dass kein Name mich täuscht, dass mich kein Dogma beschränkt?
Dass nicht Stand und Rang und Geschäft mich, den Menschen, verändert,
dass ich der Heuchelei dürrselige Maske verschmäht?«
GOETHE IN DER 1796 ENTSTANDENEN »ELEGIE«,
DIE DAS ERSCHEINEN VON HERRMANN UND DOROTHEA ANKÜNDIGT
Wie fühlt es sich an, wenn man wie Goethe nach fast zweijähriger Abwesenheit wieder nach Hause zurückkehrt? Die Dinge in der Wohnung sagen einem: Dein bisheriges Leben hat auf dich gewartet. Aber will man dieses Leben noch, passt es einem überhaupt? Man fremdelt in den eigenen vier Wänden, betrachtet die alte Umgebung mit erstaunten, zuweilen kalten Blicken. Nicht mehr los wird man womöglich eine unruhige Energie, die anfangs noch recht ziellos daherkommt.
Die Daheimgebliebenen hingegen sind enttäuscht, dass man nicht einfach glücklich ist, wieder zu Hause zu sein. Sie finden einen verändert, ohne genau sagen zu können, wie und inwiefern. »Aus Italien dem formenreichen war ich in das gestaltlose Deutschland zurückgewiesen, heiteren Himmel mit einem düsteren zu vertauschen«, resümierte Goethe später seine damalige Situation. »Die Freunde, statt mich zu trösten und wieder an sich zu ziehen, brachten mich zur Verzweiflung. Mein Entzücken über entfernteste, kaum bekannte Gegenstände, mein Leiden, meine Klagen über das Verlorne schien sie zu beleidigen, ich vermisste jede Teilnahme, niemand verstand meine Sprache.« Als er und Schiller sich das erste Mal begegnen, fällt diesem die Leidenschaft auf, mit der Goethe über Italien spricht. Goethe verstehe einem klar zu machen, »dass diese Nation mehr als alle anderen europäischen in gegenwärtigen Genüssen lebe«. Schillers befremdetes Resümee: Er zweifle, »ob wir einander je sehr nahe rücken werden«. Goethe destilliert diese Erfahrung der Entfremdung auf beiden Seiten zur Lebensweisheit, einzutragen ins Buch des Reisenden unter dem Stichwort »Rückkehr«: »Lust der Gereisten, von ihrem Erfahrenen und Bemerkten zu sprechen. Tick der Zuhausegebliebenen minderen Anteil zu zeigen, wodurch das Gefühl dessen was man entbehrt, nur desto lebhafter wird.«
Goethe kam aus Italien mit zwei verwegenen Plänen zurück. Zum einen wollte er aus Weimar einen Hotspot der Kunst machen. Das gelang ihm in dem Moment, wo er sich mit dem in vieler Hinsicht konträren Friedrich Schiller arrangierte und ihre klassische Freundschaft begann.
Zum anderen wollte er das in Italien genossene Liebesglück nicht an die Erinnerung verlieren, sondern unter Weimarer Bedingungen fortleben lassen. Der zweite Plan hatte den Vorteil, sich schneller realisieren zu lassen als der erste. Goethe suchte sich unter den ansässigen Frauen eine Faustina: jung sollte sie sein, attraktiv, womöglich sexuell erfahren und am besten aus eher bescheidenen Verhältnissen, wo man es mit der bürgerlichen Moral schon deshalb nicht so genau nahm, weil man es sich nicht leisten konnte. Wo man aber auch keinen Ruf zu verlieren hatte, sondern selbst durch ein geheim gehaltenes Verhältnis mit einem berühmten Mann wie Goethe nur gewinnen konnte.
Die dreiundzwanzigjährige Christiane Vulpius entsprach perfekt dem Beuteschema des auf die vierzig zugehenden Heimkehrers.
Christiane ihrerseits ist nicht das Opfer eines langsam in die Jahre kommenden Verführers. Sie ist eine selbstbewusste, berufstätige Frau, die durch ihre Arbeit zum Unterhalt ihrer verarmten Familie beiträgt; der Vater ist stellungslos.
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