Von Schatten und Licht by Anne-Laure Bondoux

Von Schatten und Licht by Anne-Laure Bondoux

Autor:Anne-Laure Bondoux
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Carlsen Verlag, Hamburg
veröffentlicht: 2016-01-26T13:30:28+00:00


8

DRINNEN UND DRAUSSEN

Meine Mutter tat ihr Bestes, um die von meinem Vater geschmiedeten Hände zu benutzen, und ich verlor den weichen Kontakt zu ihr. Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Trennungen. Auch wenn ich weiterhin aus ihrer Brust trank, so gab es doch immer diesen Moment, in dem sich etwas Schweres und Kaltes zwischen uns schob. Eine Barriere aus Blei.

Ihre neuen Hände trugen, wiegten und hielten mich, zogen mich an und aus und wuschen mich. Ihre Bewegungen wurden immer genauer und effizienter. Aber wo war die Sanftheit geblieben? Wo war die lebendige und zarte Wärme meiner Mutter?

Viers Meinung nach wurde ich krank, weil ich den Kontakt zu meiner Mutter verloren hatte. Aber Zwölf, der am Tag meiner Geburt unter dem Felsvorsprung die Hand auf meine Stirn gelegt hatte, war sich sicher, dass ich die Krankheit schon in mir trug. Seines Erachtens bin ich damit geboren worden.

Die seltsamen Symptome traten erstmals kurz vor Ende des Winters auf.

Hama, die einen großen Teil ihrer Unabhängigkeit zurückgewonnen hatte, beschloss eines Tages, in die Schmiede hinabzusteigen, ohne jemandem etwas davon zu sagen und entgegen Bos Anweisungen.

Sie wickelte mich in das Tragetuch, das Vier ihr zu diesem Zweck genäht hatte (»Trage dein Kind wie die Kängurus«, hatte sie meiner Mutter geraten), und band die Enden des Tuchs hinter ihrem Rücken fest. So eingeschnürt und fest an ihre Brust gedrückt konnte ich nicht herunterfallen und meine Mutter hatte die Hände frei.

Leise und unbemerkt erreichte sie die Falltür, die ins unterste Stockwerk führte. Sie öffnete sie, betrat vorsichtig die Treppe, stieg sie hinab und gelangte in die Ursprungshöhle. Es war das erste Mal, dass sie sich so tief unter die Erde wagte. Sie erinnerte sich an Bos Beschreibungen und erkannte die Stalagmiten in Form von Totempfählen. Sie umrundete sie, fand den Steg, erreichte den Felsvorsprung und endlich auch die Felsspalte.

Im Licht ihrer Fackel untersuchte sie den schmalen Durchgang. Wenn Bo sich mit seinen breiten Schultern dort hindurchzwängen konnte, würde sie mit ihren schmalen Schultern problemlos hindurchpassen. Sogar mit Baby.

Also kletterte meine Mutter mit mir durch die Felsspalte.

Als sie auf der anderen Seite wieder herauskam, raubte ihr die Hitze der Schmiede den Atem.

Bo stand neben dem Schmelzofen. Er war damit beschäftigt, Metall zu erhitzen, zu schmelzen und zu kalzinieren, und wandte ihr den Rücken zu. Seit Hama seine Bleihände akzeptiert hatte, verspürte mein Vater weder Befriedigung noch Erleichterung. Im Gegenteil, er wurde von Tag zu Tag schweigsamer, besorgter und abwesender. Was wollte er den Flammen noch entreißen? Welchem verrückten Traum lief er hinterher? Hama wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie unglücklich und ein wenig eifersüchtig auf diesen Ort war, der Bo von ihr fernhielt.

Sie bemerkte den Sessel am anderen Ende der Höhle, in dem Zwei zusammengekauert saß und wie ein Stein schlief.

Meine Mutter löste das Tuch, in das ich gewickelt war, nahm mich auf den Arm und ging zu der Ecke, in der Zwei schlief, immer darauf bedacht, dem Feuer nicht zu nahe zu kommen.

Bo war halb taub vom lauten Dröhnen des Blasebalgs und bekam nicht mit,



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