Vogelheu by Markus Ramseier

Vogelheu by Markus Ramseier

Autor:Markus Ramseier [Ramseier, Markus]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: HAYMONVerlag
veröffentlicht: 2015-05-03T16:00:00+00:00


IX

Schneider hat kurz nach dreizehn Uhr geklingelt, als ich mich gerade umzog. Jetzt sitzen wir seit bald zwei Stunden in der Lobby und füllen ab und zu die Kaffeetassen nach. Immerhin bleibt mir so der freitägliche Triathlon erspart – und Mutters hektisches Getue vor der Vernissage.

Der Brandermittler ist nicht zufrieden mit mir, murrt, dass ich ihn abwimmle, beharrt darauf, dass man immer alle Angaben überprüfen muss. Das Leiernde in seinem Ton treibt mich zur Weißglut. Es scheint ihm Vergnügen zu bereiten, mit seinen Dienstvorschriften vor meinen Augen herumzufuchteln: Ich tue nur meine Pflicht, ich habe die Regeln nicht erfunden. Noch ehe ich eine Frage beantwortet habe, stellt er mir die nächste – wie es um den Heizungskessel stand, um die Tiefkühltruhe, was auf den Kellerregalen noch alles lag, vielleicht auch alte Pneus? Ob ich mir vorstellen kann, dass jemand versucht hat, im Keller Beweise zu vernichten? Dass Großvater es sogar selbst getan hat und sich vielleicht gar umbringen wollte, ein alter, ruinierter Mann?

„Großvater ruiniert?“ Ich lache laut heraus. „Den bringt nichts um, schon gar nicht er sich selbst. Sobald er draußen ist, wird er dem Fall persönlich nachgehen, darauf kannst du Gift nehmen. Also beeil dich. Es gab Verfahrensfehler, hast du selbst zugegeben. Die Spurensuche wurde zu spät aufgenommen.“

Und wie es mit mir ist, bohrt Schneider weiter, ohne auf meine Einwände einzugehen, wann ich schlafe, wenn ich nicht feste, und was ich nachts überhaupt so treibe. Ich betrachte sein Gesicht mit einem Gefühl der Ermattung. Ich lese darin die Vergeblichkeit allen Spürens – und noch etwas anderes, das ihn bis zur Kenntlichkeit entstellt. Bin ich zu weit gegangen, draußen unter dem Mond? Ich bin auf der Hut, Schneider. Bei Tag sieht alles anders aus.

Clara stolziert in neuen, viel zu engen Schuhen durch die Lobby, schwarzen, spitzen Pumps. Ihre Waden wirken verkrampft und die Verkrampftheit macht mich für sie verlegen. Ich achte darauf, dass sich unsere Blicke nicht begegnen. Das dauernde Ausweichen erschöpft mich zusätzlich. Schneider lässt sich nicht einschüchtern. Er ist allen Spuren systematisch nachgegangen, hat die Verkohlungsgrade minutiös ermittelt, Verformungen, Anlauffarben, Abplatzungen, das hat er Großvater persönlich erläutert – die Zehrungen an den Holzrosten, die Narbentiefe in der Ecke beim Bettgestell, die Rauchgasanhaftungen bei den hinteren Kellerfenstern, die verkohlte Kaffeemaschine …

Ein Julio-Iglesias-Typ mit schwarz gefärbtem Haar stürzt durch die Glastür an die Rezeption. Er lächelt auf alle Seiten und lässt die Augen blitzen. Der Nachmittag kommt mir wie eine einzige große Fälschung vor. „Du zählst nur Brandspuren auf, aber wie es zum Brand kam, ist doch die Frage“, sage ich.

Unter dem Bett müsse eine Art Lager gewesen sein, meint er, ein Sammelsurium von Gegenständen, unter anderem eine Pfanne. Die Anlaufspuren wiesen darauf hin, dass dort jemand den Brand gelegt haben könnte. Man leere den Alkohol eines Glases in die Pfanne, gebe einen Lappen drein, ein Zündholz drauf. Die Matratze darüber wäre ein idealer Zunder gewesen. Zwanzig, dreißig Sekunden und alles steht in Flammen. Dann verschwindet man durch den Hinterausgang. Der Fluss schluckt jedes Geräusch. So einfach ist das – und so schwierig für den armen Schneider.



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