Vergiss nicht, dass du tot bist by Angela Mohr

Vergiss nicht, dass du tot bist by Angela Mohr

Autor:Angela Mohr
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783401504186
Herausgeber: Arena Verlag GmbH
veröffentlicht: 2014-06-09T22:00:00+00:00


Kapitel 10

Ich denke die ganze Zeit an ihn.

Seltsamerweise schaffe ich es nicht, mir sein komplettes Gesicht vorstellen. Es ist immer nur ein Teil – das Aufleuchten seines linken Auges; sein Mundwinkel, wenn er einen Witz erzählt; wie er seine Nase kraus legt, während er von seinem ungeliebten Geschichtslehrer spricht.

Während wir in der Eisdiele saßen, kam immer mehr ein anderer Adrian zum Vorschein: einer, der Witze machte, der mich angrinste und der schließlich eine Hand auf meine legte.

Beinahe hätte ich ihm von der Operation erzählt. Aber dann habe ich es schließlich doch nicht getan und nur die Liste erwähnt. Das hat ihm gefallen: sich eine Liste der Dinge zu machen, die man tun will, bevor man stirbt.

Liste Nr. 22

Erkennen, dass man verliebt ist

1. Herzklopfen

2. Permanent auf das Telefon starren, um zu sehen, ob nicht eine Nachricht darauf ist

3. Ständig über nichtssagende Dinge nachdenken, z.B. darüber, ob der Satz, den man zum Abschied gesagt hat, nicht doch völlig schwachsinnig war

4. Liebesfilme anschauen, ohne dabei die Augen zu verdrehen

Forscher haben herausgefunden, dass bei vielen Menschen eine ganze Reihe Glückshormone ausgeschüttet wird, wenn sie ihr Handyklingeln hören. Oder auch nur sehen, dass neue Nachrichten gekommen sind, auf dem Handy oder auf Facebook. Wir sind alle Süchtige und wahrscheinlich sammelt deswegen jeder wie wild Freunde und Kontakte. Jede SMS ist ein kleiner Schuss.

Ich muss mir ernsthaft überlegen, was ich tun soll. Schließlich kann ich nicht den ganzen Tag auf mein Handy starren, um zu sehen, ob eine Nachricht von Adrian gekommen ist. Seit zwei Tagen habe ich ihn jetzt nicht mehr gesehen und ich habe das Gefühl, dass das eine unendliche Zeitspanne ist.

Man soll sich dem anderen nicht aufdrängen, sich lieber rar machen, das sagt Yuki wenigstens. Gerne hätte ich ihr jetzt eine SMS geschrieben. Ihren sachkundigen Rat in zwischenmenschlichen Angelegenheiten eingeholt. Zum Beispiel bei solch ganz banalen Dingen: Wie lange soll ich warten, bis ich ihn anrufe?

Gibt es da nicht irgendwelche ungeschriebenen Gesetze, gegen die man verstoßen kann? Beziehungen sind ein Minenfeld. Wenn ich nicht Yukis Rat einhole, fürchte ich, wie ein Elefant darin herumzutrampeln.

Aber ich habe sie in den letzten achtundvierzig Stunden bereits zwei Dutzend Mal angerufen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Plötzlich kommt mir alles wichtig vor: Was er gesagt hat. Was ich gesagt habe. Wie seine Hände aussahen. Wann in seinen Augen was aufgeblitzt ist. Und wann nicht. Ich zwinge mich trotzdem, das Handy liegen zu lassen. So ein bisschen Verliebtsein werde ich ja wohl auch ohne Yuki hinbekommen.

Mein Stolz ist seit der Transplantation erwacht und ich genieße ihn, auch wenn ein Teil meines Verstandes genau weiß, dass er nur die Rache auf die Jahre der Ohnmacht ist. Auf die Jahre, als ich keinen Stolz haben konnte. Weil man keinen Stolz mehr hat, wenn man keuchend in den Armen der Freundin nach den letzten Sauerstoffmolekülen schnappt, die das Herz zu transportieren imstande ist. Weil es nicht mit irgendeiner Form von Stolz zu vereinbaren ist, wenn dieselbe Freundin einem die bereits vollgekotzte Schüssel ein zweites Mal hinhält, weil keine Zeit mehr war, sie vorher auszuschütten.



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