Verfall und Untergang by Evelyn Waugh

Verfall und Untergang by Evelyn Waugh

Autor:Evelyn Waugh [Waugh, Evelyn]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257604214
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


[159] Zweiter Teil

[161] 1

King’s Thursday

Margot Beste-Chetwynde besaß zwei Häuser in England, eins in London und das andere in Hampshire. Das Londoner Haus, erbaut in der Regierungszeit von William und Mary, galt allgemein als das schönste Gebäude zwischen Bond Street und Park Lane, während die Meinungen über ihr Landhaus auseinandergingen. Dieses war in der Tat ganz neu; ja es war gerade erst fertiggestellt worden, als Paul zu Beginn der Osterferien dort eintraf. Kein einziger Schritt in Mrs. Beste-Chetwyndes ereignisreicher und in mancher Hinsicht skandalöser Karriere hatte so viele feindselige Kommentare hervorgerufen wie der Bau oder vielmehr Umbau dieses bemerkenswerten Hauses.

Es hieß King’s Thursday und war seit der Regierungszeit von Bloody Mary der Familiensitz der Earls of Pastmaster. Drei Jahrhunderte lang hatten die Armut und Trägheit dieser Adelsfamilie das Haus unverändert erhalten und vor allen wechselnden Moden der Wohnhausarchitektur bewahrt. Kein Flügel war hinzugefügt und kein Fenster zugemauert worden; kein Portikus oder Turm, keine Verkleidung, Terrasse, Orangerie oder Brustwehr verschandelten seine Fachwerkfassade. Kein Installateur oder Ingenieur hatte King’s Thursdays Schlummer gestört, als Leuchtgas und Sanitäranlagen der letzte Schrei waren. Der [162] Gutszimmermann – ein Amt, das in der Familie jenes ersten Schreiners, der die Säle vertäfelt und das Geländer im großen Treppenhaus geschnitzt hatte, erblich war – verrichtete all die Reparaturen, die von Zeit zu Zeit zum Erhalt des Gesamtgefüges anfielen, nach wie vor mit den alten Werkzeugen und traditionellen Methoden, so dass seine Arbeit nach wenigen Jahren von der seiner Vorväter nicht mehr zu unterscheiden war. In den Schlafzimmern flackerten noch Binsenlichter, als bei allen Nachbarn von Lord Pastmaster schon längst elektrische Lampen strahlten, und in den letzten fünfzig Jahren war Hampshire allmählich stolz auf King’s Thursday geworden. Anfangs als Schandfleck für die fortschrittliche Grafschaft empfunden, war King’s Thursday mittlerweile zum Mekka für Wochenendausflüge geworden. »Wir könnten eigentlich zum Tee zu den Pastmasters fahren«, sagten die Gastgeberinnen am Sonntag nach dem Lunch. »Dieses Haus müssen Sie sich wirklich ansehen. Ganz unverfälscht, meine Liebe. Professor Franks, der letzte Woche hier war, sagte, es gilt als prächtigstes Beispiel eines Tudorwohnhauses in ganz England.«

Anrufen konnte man bei den Pastmasters nicht, aber sie waren immer zu Hause und freuten sich aufrichtig über den Besuch ihrer Nachbarn, und nach dem Tee führte Lord Pastmaster die Gäste im Haus herum, durch die großen Galerien und in die Schlafzimmer, und zeigte ihnen das Priesterloch und den Wandschrank, in dem der dritte Earl seine Frau eingesperrt hatte, weil sie einen qualmenden Kamin hatte umbauen wollen. »Bei Ostwind qualmt dieser Kamin noch immer«, sagte er, »aber umgebaut haben wir ihn nicht.«

[163] Danach fuhren sie in ihren großen Autos wieder heim in ihre modernisierten Landhäuser, und wenn sie dann vor dem Dinner in der heißen Badewanne lagen, sannen die empfindsameren Besucher vielleicht darüber nach, was für ein Privileg es doch gewesen war, für eineinhalb Stunden aus ihrem eigenen Jahrhundert heraus- und in das gemächliche, prosaische Leben der englischen Renaissance hineinzutreten und beim Tee über Jagd und Fischfang und die Reform des Prayer Book zu plaudern, wie schon vor dreihundert Jahren die



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