Unser Shakespeare by Günther Frank

Unser Shakespeare by Günther Frank

Autor:Günther, Frank
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
veröffentlicht: 2014-09-15T00:00:00+00:00


Nicht, dass diese Figurenmeinung Shakespeares Meinung sein muss, aber es klingt nicht unbedingt nach homoerotischer Neigung. Andererseits gibt es auch in Was ihr wollt das Beispiel des (erotischen?) Freunschaftskultes zwischen Antonio und Sebastian; und den Kaufmann von Venedig kann man als elegisches Endspiel der scheiternden homoerotischen Liebe des Kaufmanns Antonio zu Bassanio lesen, welcher Portia heiraten will …

Shakespeare Sonette sind ein literarisches Vexierspiel: War es offenbarte wahre, erlebte Liebespein? Oder war es kunstvolle dichterische Mache? Es sind dies die beiden Grundhaltungen, mit denen man an Shakespeares Sonette herangehen kann. Die einen lesen die Sonette als Selbstoffenbarung des Autors, als emotionale Entblößung, als Autobiographie eines großen Liebesdramas, die anderen sehen die unendliche Kunstfertigkeit und das Raffinement, womit Shakespeare Muster und Formeln der petrarkistisch-elisabethanischen Standardlyrik ironisch auf den Kopf stellt. Alles reine (schwule) Lebenswahrheit, sagen die einen, eine einzige schwule Konfession; alles ein kunstvolles Spiel der Literatur und der Sprache, sagen die anderen. Das Problem ist: Shakespeares kunstvolles Seelenzergliederungsspiel überschreitet manchmal jene Grenze, hinter der das Künstliche als fühlbare Lebenswahrheit erscheint: Man kann sich kaum vorstellen, dass diese Subtilität der Selbstanalyse, dieses Enthüllen komplexester Gefühlsbereiche nur reines Gedankenspiel gewesen sein soll – es müsse wahr sein, müsse erlebt sein, müsse durchlebt sein. Literatur ist Konfession. Nein, sagen die anderen, die angebliche Entblößung ist eine Schein-Entblößung; im sprachlichen Spiel wird ebenso immer wieder Verschleierung und Verhüllung deutlich. Die neuzeitliche Idee, dass ein Autor in seinen Werken als autobiographischer Selbstentblößer auftritt, war zu Shakespeares Zeiten völlig unbekannt: Sie taucht erst mit der Romantik um 1800 auf.

Shakespeares Sonette bleiben bis in alle Ewigkeit ein quälendes Rätsel des Menschlichen, der Sphinx vergleichbar. Einer ihrer schönsten paradoxen Formulierungen, die den ganzen Zyklus charakterisieren: »Ich glaube dir, obwohl ich weiß, du lügst.«

Im Jahr 2009 gab es in London eine Schulaufführung; gespielt wurde eine schwule ›Romeo and Julian‹-Version, als Protest gegen Homophobie. War Shakespeare schwul, war unsere Ausgangsfrage. Es gibt darauf eine klare, eindeutige Antwort: Kein Mensch auf diesem Planeten weiß es. Aber im Jahr 2012 gab es in New York den ersten Sommernachtstraum, in dem Hermia und Lysander als lesbisches Liebespaar auftraten, im Gefolge der aktuellen amerikanischen Debatte um die Homo-Ehe. Ungewöhnliche Spielfassung, durchaus – aber im Sinne des Gender-Mainstreaming und der pansexuellen Befreiung ergibt sich daraus eine spannende neue Frage: War Shakespeare lesbisch?



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