Und er steht doch auf dich by Harris Rachel

Autor:Harris, Rachel
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-cbt TB
veröffentlicht: 2015-11-03T08:07:21+00:00

Samstag, der 28. August

5 Wochen bis zum Homecoming-Ball

BRANDON

Städtische Sportanlage, 12:45 Uhr

Mit Blick auf die geschlossene Hallentür hole ich die Zeichnung von letzter Nacht aus der Hosentasche. Darauf sitzt Aly auf der Bank, auf der ich sie gestern Abend zurückgelassen habe. Ihre Haare sind zu einem wirren Pferdeschwanz zusammengebunden, wie früher, vor dem Umstyling, aber sie trägt das Neckholder-Top, das sie letzte Woche anhatte. Tränen stehen in ihren sonst so strahlenden blauen, ungeschminkten Augen. Mein Magen zieht sich zusammen.

Ich habe schon richtig üblen Scheiß erlebt. Aber Aly, meine langjährige Freundin und das Mädchen, mit dem ich die letzten drei Wochen irgendwie zusammen war, so zurückzulassen, war echt eines der schlimmsten Dinge, die ich je tun musste.

Beim Schlussmachen der Part zu sein, der abserviert wird, ist absolut zum Kotzen, und Trennungen überhaupt sind ätzend. Normalerweise verlaufen sich meine Affären sonst immer einfach irgendwie im Sande, weil beide Seiten anfangen, sich zu langweilen, und zu neuen Ufern aufbrechen. Das ist das Schöne an den Coolen. Kein Drama, kein Schmerz, keine Tränen.

Keine Angst.

Und Angst ist exakt das, was ich empfinde, als mein Blick zwischen der Zeichnung und der Hallentür hin und her huscht. Jede Faser meines Körpers befindet sich auf höchster Alarmstufe, für den Fall, dass Aly auftaucht. Ein Quietschen auf dem Linoleum lässt mich zusammenfahren. Ich blicke auf, aber es ist nur Baylee, die Aufwärmübungen macht. Erneut sehe ich auf die Uhr und trommle ungeduldig auf die Bank.

Der letzte Abend hätte nicht schlimmer laufen können. Meine ganzen Vorsätze und die Vorträge, die ich mir zuvor noch gehalten habe, sind in der Sekunde verpufft, als ich sah, wie Justin seine Griffel an Aly dran hatte. Ich hätte einfach gleich mit ihr tanzen sollen, statt mit Carlos rumzusitzen und zu versuchen, den Impuls zu unterdrücken, sie mir einfach zu schnappen und zurück zu meinem Wagen zu entführen. Dummerweise hat es mich aber nur noch mehr angemacht, ihr zuzusehen, wie sie auf der Tanzfläche die Haare herumschleudert und die Hüften schwingt. Und als Justin sich zu ihr gesellte, um die Situation auszunutzen, konnte ich mich einfach nicht länger beherrschen.

Unser Gespräch danach war unheimlich demütigend, doch nachdem ich daheim eine Stunde lang auf den Sandsack in der Garage eingedroschen hatte, habe ich beschlossen, dass sie recht hat. Wir müssen unsere Scheinbeziehung beenden und wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren – nämlich zu unserer Freundschaft –, bevor wir noch alles verlieren.

Ich bete nur, dass es nicht zu spät ist.

Punkt zwölf Uhr fünfzig geht schließlich die Tür auf. Schnell stecke ich die Zeichnung wieder ein, stehe auf und vergrabe meine Hände tief in den Taschen.

Klein und zierlich wie Aly ist, hängt das armeegrüne Trainer-Poloshirt regelrecht an ihr herunter – fast schon Schlabberlook wie früher. Mit ihren leicht zerstrubbelten Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden sind, und der ausgeleierten Khakihose sieht sie aus wie die Aly, die ich kannte. Bis auf einen kleinen Unterschied. Sie sieht mich nicht an.

Den Blick zu Boden gerichtet, läuft sie steifbeinig durch die Halle, stellt ihre Wasserflasche auf der Bank ab und lässt ihre Tasche fallen.

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