Toskana für Arme by Swidler Uli T

Toskana für Arme by Swidler Uli T

Autor:Swidler, Uli T. [Swidler, Uli T.]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2015-11-11T16:00:00+00:00


8. Kapitel

So hatte also Ginos und meine Freundschaft vor einigen Jahren mit einer Brüllerei begonnen, und sie hatte trotz einiger Krisen, und ich muss ehrlicherweise sagen, trotz Valerie, gehalten.

Doch zurück zu den Stunden nach Luises Beerdigung in Lucianas Bar, in der Manfredo immer noch mit dem Grabewinkel seines zu kleinen Baggers haderte und Gino wieder mal die Geschichte von dem Lehrer aus Florenz zu erzählen begonnen hatte, der sich auf den Weg nach Siena gemacht hatte und inzwischen unsicher geworden war, ob er sich noch auf dem richtigen Weg befand.

«Ecco!», rief Gino begeistert, der absolut in seinem Element war, «damals war es eben nicht so einfach, seinen Weg zu finden, auch wenn Siena und Florenz keine hundert Kilometer voneinander entfernt lagen. Und wir reden hier von einem Lehrer! Einem Mann des Wortes, des Geistes! Keinem Pfadfinder!»

«Die Wege waren ja nicht gekennzeichnet», ergänzte ich und wehrte mich regelrecht dagegen, mich von Ginos Begeisterung anstecken zu lassen.

Bis hierhin war Folgendes passiert: Ein Lehrer aus dem mittelalterlichen Florenz hatte sich also voller guter Absichten, aber auch voller für die Florentiner typischer Arroganz, etwas Besseres zu sein, auf den Weg nach Siena gemacht, um dort den weniger Gebildeten das Heil des Wissens zu bringen. Und nun war er schon vier Tage gewandert und befürchtete, sich verirrt zu haben.

Da sah er einen alten Bauern, der mit einer Hacke das Feld bearbeitete, ein einfacher Mann, dessen sonnengegerbte Haut belegte, dass er dieser und ähnlichen einfachen Tätigkeiten schon seit vielen Jahren unter freiem Himmel nachging. Zugleich sah der Lehrer, wie sich weiter vorn der Weg gabelte, und die Beschaffenheit keiner der beiden Wege ließ ein Urteil zu, welcher wohl der Haupt- und welcher der Nebenweg war, welcher also nach Siena und welcher nach San Gimignano oder gar nach Quercegrossa führte. Also entschied er, den Landmann zu fragen, ohne jedoch große Hoffnung zu haben, von einem derart einfachen Menschen eine verwertbare Antwort zu bekommen.

«Ou!», rief er, «einen schönen Tag auch, werter contadino!»

Der Bauer unterbrach seine Arbeit, stützte sich auf seine Hacke und nickte dem Lehrer zu.

Ich muss darauf achten, nicht zu schnell zu sprechen, dachte der Lehrer, und ich darf keine komplizierten Worte verwenden. Am Ende beschäme ich diesen guten, einfachen Mann, nur weil ich ihn nach dem Weg gefragt habe.

«Nach Siena, guter Mann, welcher Weg dieser beiden dort vorne führt nach Siena? Könnt Ihr mir darüber Auskunft geben?» Und schon ärgerte sich der Lehrer, ‹welcher Weg dieser beiden dort vorne› – ja, hätte er die Frage nicht einfacher formulieren können? Dort sind zwei Wege, welcher führt nach Siena? Das war eine einfache Frage!

Der contadino holte ein schon reichlich durchtränktes Tuch hervor und wischte über seine schweißnasse Stirn. Der Lehrer schüttelte unmerklich seinen Kopf, voller Mitgefühl für diese schlichte Seele, die durch seine Frage in derartige Bedrängnis geriet. Er kann nicht gleich antworten, frei und lebendig, weil das Nachdenken so viel Kraft verlangt, dachte er, wie gut, hier meine Lehrtätigkeit aufzunehmen, zum Wohle dieser armen Landmenschen.

Der Bauer steckte sein Tuch wieder weg, packte seine zappa, und ohne den



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