Stehr, Hermann: Der begrabene Gott. 1905 by Stehr

Stehr, Hermann: Der begrabene Gott. 1905 by Stehr

Autor:Stehr
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: S. Fischer Verlag
veröffentlicht: 1905-01-01T00:00:00+00:00


13

Seit diesem Vorkommnis wurde der Schuster Klose nie wieder nüchtern, kam nicht mehr in das Haus seiner Mutter und mied auch das Gehöft des Lahmen. Er war wie von einem bösen Geiste besessen.

In Stuben benahm er sich scheu, als seien es Gefängnisse; vor allen Leuten mit geregelter Lebensweise hatte er einen Abscheu, wie wenn sie geheimen Verbrechern ergeben seien. Immer ging er gesenkten Hauptes einher, murmelte Unverständliches vor seine Füße, blieb oft stehen und begann unter leidenschaftlichen Armbewegungen mit einem Unsichtbaren Streit, den er mit reuevollen Schlägen vor die Brust beendete, wie der Christ seine stille Andacht schließt.

Er hatte die halb erloschenen Augen eines angeschossenen Wildes, und sein Gesicht erschütterte trotz der Verwahrlosung, denn es war ganz mager geworden, erdfarben und tief gefurcht wie das Antlitz eines fanatischen Büßers.

Sobald er angetrunken war, verfiel er in einen Paroxysmus der Selbstpeinigung, schlug sich mit Fäusten, raufte sich die Haare, rannte durch Dornhecken und saß dann weitab von allen Menschenwohnungen auf dem einsamen Felde, weinte, wehklagte und flehte zu Gott um Gnade mit weithin schallender, beschwörender Stimme, um dann wohl plötzlich aufzuspringen, durch die Gassen der Dörfer zu laufen und die Schar der Neugierigen um Lästerungen, Steinwürfe und Anspeien zu bitten.

In einer bewölkten Mondnacht wollte der alte Förster Knolle gesehen haben, wie er in weitem Bogen unter näselndem Selbstgespräch um das Höfchen des Lahmen geschlichen sei.

Alle hielten ihn für verrückt, und einige meinten, die andauernde, außergewöhnliche Hitze sei viel schuld an dieser plötzlichen Verwirrung seiner Seele.

Denn Tag um Tag schwammen die Waldberge der Grafschaft in zitternder Glut. Sie sahen aus wie Riesenlasttiere, die, halb von grauem Sand verschüttet, fern durch eine endlose Wüste schreiten; immer in Bewegung, immer an einen Platz gebannt; kein Lufthauch der Kühle; der Himmel aschfarben, von vertrocknetem Blau. Die Sonne sah wie durch eine abgestorbene, zerstörte Unendlichkeit auf die Erde. Nur hin und wieder hob dorrender Ost seine Schwingen und flog durch die Windungen des Warthapasses mit einem feinen Sausen herein, das klang wie das Pfeifen schneidender Sensen, dann sank das wenige Gewölk wie gemäht dahin und zerfloß am Himmel zu einer kochenden Glut.

Von den Obstbäumen fielen die unreifen Früchte welk und gelb in das ausgebrannte Gras.

Der Wald heulte im Nachtwind auf wie ein verschmachtender Löwe.

In den kleinen Rinnsalen lag Staub, die reichsten Quellen gaben das Wasser in Tropfen.

Die Hitze ging knisternd durch das notreife Getreide. Die Türme läuteten um Regen. In den Kirchen knieten zu allen Stunden Menschenhaufen und riefen in furchtsamem Glauben endlose Litaneien. Die Bildstöcke und Kapellen der Felder und Kreuzwege waren mit Kränzen behängen, Weiber kauerten auf Steinen davor und hoben die Hände empor, die Männer gingen vorüber und bekreuzigten sich. Der Geistliche trug das Allerheiligste in den Fluren umher, sprengte das geweihte Wasser aus und sprach in das Rauschen der bunten Kirchenfahnen den uralten Wettersegen: es war alles umsonst.

Die Erde klaffte in breiten Rissen, als schreie sie zum Himmel um Hilfe; die dürren Blätter fielen dichter, der Wald lag grau auf den Höhen und stöhnte von Zeit zu Zeit, als liege er in den



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