Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens by Wiggs Susan
Autor:Wiggs, Susan [Wiggs, Susan]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Herausgeber: Mira Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2012-05-02T11:54:35+00:00
12. KAPITEL
Avalon, Ulster County, New York
Sommer 1945
Am Anreisetag lag im Camp Kioga immer eine besondere Aufregung in der Luft. Jane Gordon hatte die Zeit bis zum Sommeranfang an ihrem Wandkalender heruntergezählt und jeden Tag mit einem dicken X abgekreuzt. Natürlich war es dieses Jahr in einigen Belangen anders als sonst immer â und keines davon war sonderlich gut.
Stuart war jetzt beinahe ein Jahr tot. Er würde nie wieder da sein, um zu helfen, mit allen zu scherzen und selbst die langweiligste Arbeit zu einem Vergnügen zu machen. Niemand würde je wieder sein schiefes Pfeifen hören, wenn er die Rasenflächen mähte, die weiÃen Linien auf dem Tennisplatz nachzog, das Volleyballnetz spannte oder kleine Reparaturarbeiten an den Stockbetten in den Hütten vornahm.
Ihre Mutter war auch nicht da. Nach dem doppelten Schock im letzten Jahr â erst der Tod von Stuart, gefolgt von der hastigen SchlieÃung und Quarantänelegung des Camps, nachdem bei George Bellamy Polio ausgebrochen war â war irgendetwas mit Janes Mutter passiert. Sie hatte sich verändert, bis sie überhaupt keine Ãhnlichkeit mehr mit ihrer Mom hatte.
Vor der Nachricht von Stuart hatte sie immer gesungen, wenn sie an der Spüle aus dem Küchenfenster geschaut und den Blick auf den üppigen Garten und die SchotterstraÃe zum Haus genossen hatte.
Seitdem die glänzende Limousine diese StraÃe hinaufgekommen war und die Neuigkeiten über Stuart mitgebracht hatte, war Janes Mutter nicht mehr dieselbe gewesen. Sie benahm sich seltsam; sie schaute immer noch aus dem Fenster, doch sie sang nicht mehr. Manchmal wusch sie das gleiche Saftglas oder den gleichen Salatteller wieder und wieder, bis Jane oder ihr Vater es bemerkten und sie an der Hand nahmen und zum Sofa oder zur Hollywoodschaukel auf der Veranda führten.
Sie war traurig und still. Doch je mehr Zeit verging, desto schlimmer wurde es. Jane war eines Nachts von einem rhythmischen Geräusch aufgewacht â wusch, wusch, wusch â und war hinuntergegangen, wo sie ihre Mutter mit umgebundenem Kopftuch vorfand, wie sie gerade die Veranda fegte. Es war stockfinster.
Das seltsame Benehmen ihrer Mutter hatte Jane Angst gemacht. âMommy?â, hatte sie leise gesagt. âEs ist mitten in der Nacht.â
âJa, ja.â Ihre Mom hatte Jane nicht einmal angeschaut. Genau genommen hatte sie Jane seit dem Tag von Stuarts Gedenkgottesdienst nicht mehr angeschaut.
âMom, du solltest wieder hineinkommen!â
Ihre Mutter schaute direkt durch Jane hindurch. âOh!â
Eine Pfütze erschien zu ihren FüÃen auf dem Boden.
âMommy! Du meine Güte!â, hatte Jane peinlich berührt gerufen. âDu hast dich eingenässt.â
Ein paar Tage danach hatte ihr Vater sie beiseitegenommen und ihr erklärt, dass ihre Mutter einen nervösen Zusammenbruch erlitten habe. Sie musste eine Weile fortgehen, an einen Ort, den man Sanatorium nannte. Dort gab es Ãrzte und Schwestern, die ihr helfen würden, wieder gesund zu werden.
Als die Wochen und Monate vergingen, ging es Janes Mutter auch langsam besser. Jeden Sonntagnachmittag besuchten Jane und ihr Vater sie in der Klinik in Poughkeepsie. Sie war nicht mehr ihr altes singendes, Klavier spielendes Selbst, aber sie konnte wieder einer Unterhaltung folgen, sich selbstständig anziehen und sich die Haare machen.
Sie versuchte ein paar Mal, nach Avalon zurückzukehren, aber es war zu viel für sie.
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