Solange du lügst - Roman by Sarah Waters

Solange du lügst - Roman by Sarah Waters

Autor:Sarah Waters [Waters, Sarah]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783944576237
Herausgeber: Verlag Krug & Schadenberg
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


KAPITEL 11

Wir gehen fort, wie wir es geplant haben, am letzten Tag im April. Richards Aufenthalt hier ist zu Ende. Die Drucke meines Onkels sind aufgezogen und gebunden. Um mir eine Freude zu machen, nimmt er mich mit und zeigt sie mir.

»Gute Arbeit«, sagt er. »Findest du nicht auch, Maud? Hm?«

»Ja, Sir.«

»Schaust du auch her?«

»Ja, Onkel.«

»Ja. Gute Arbeit. Ich denke, ich werde Hawtrey und Huss eine Einladung zukommen lassen. Sollen wir sie nächste Woche herbitten? Was meinst du? Sollen wir das Ereignis gebührend feiern?«

Ich gebe keine Antwort. Ich stelle mir das Esszimmer vor, den Salon – und mich an einem anderen düsteren Ort, weit fort. Mein Onkel wendet sich an Richard.

»Richard«, sagt er, »möchten Sie gern als Gast mit Hawtrey zu uns zurückkommen?«

Richard verbeugt sich und macht ein betrübtes Gesicht. »Es tut mir leid, Sir, aber ich habe anderweitige Verpflichtungen.«

»Bedauerlich. Hast du das gehört, Maud? Sehr bedauerlich …«

Mein Onkel schließt seine Tür auf. Mr. Way und Charles gehen mit Richards Taschen die Galerie entlang. Charles wischt sich mit dem Ärmel über das Gesicht. – »Mach, dass du weiterkommst!«, ruft Mr. Way ungehalten und gibt ihm einen Fußtritt. Charles hebt den Kopf, als er uns aus dem Zimmer meines Onkels herauskommen sieht. Er schüttelt sich in einer Art Krampf – beim Anblick meines Onkels, vermute ich – und läuft davon. Da schüttelt es auch meinen Onkel.

»Sehen Sie, Rivers, welchen Qualen ich hier ausgesetzt bin? Mr. Way, ich hoffe doch, Sie werden sich diesen Jungen vorknöpfen und ihn auspeitschen!«

»Das werde ich, Sir«, erwidert Mr. Way.

Richard sieht mich an und lächelt. Ich erwidere sein Lächeln nicht. Und als er an der Treppe meine Hand nimmt, liegen meine Finger kraftlos in seinen.

»Auf Wiedersehen«, sagt er. Ich erwidere nichts. Er wendet sich meinem Onkel zu: »Mr. Lilly. Leben Sie wohl, Sir!«

»Ein gutaussehender Mann«, erklärt mein Onkel, als der Einspänner außer Sicht verschwindet. »Hm, Maud? Warum schweigst du? Wird es dir nicht gefallen, zu unserer abgeschiedenen Lebensweise zurückzukehren?«

Wir gehen ins Haus zurück. Mr. Way zieht die aufgequollene Tür zu, und es wird dunkel in der Eingangshalle. An der Seite meines Onkels steige ich die Treppe hinauf, ebenso wie ich einmal als kleines Mädchen neben Mrs. Stiles hinaufgestiegen bin. Wie viele Mal, frage ich mich, bin ich seither diese Treppe hinaufgegangen? Wie viele Male bin ich mit dem Absatz auf diese Stelle getreten, wie viele Male auf jene? Wie viele Pantoffeln, wie viele Schnürmiederkleider, wie viele Handschuhe habe ich seither aufgetragen, aus wie vielen bin ich herausgewachsen? Wie viele wollüstige Worte habe ich im Stillen gelesen? Wie viele für irgendwelche Herren laut ausgesprochen?

Die Treppe, die Pantoffeln und Handschuhe, die Wörter, die Herren – alles wird bleiben, auch wenn ich selbst flüchte. Ich denke an die Zimmer im Haus meines Onkels: das Esszimmer und den Salon, die Bibliothek. Ich denke an den kleinen Halbmond, den ich einmal in die Farbe gekratzt habe, welche die Fenster der Bibliothek verdunkelt: Ich versuche ihn mir ohne das Auge dahinter vorzustellen. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal aufgewacht bin und dabei



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