Sindbad der Seefahrer by Roland Kübler
Autor:Roland Kübler [Kübler, Roland]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3-926789-32-8
veröffentlicht: 2010-04-20T04:00:00+00:00
Bagdad, 190 Jahre nach Muhammeds Higra, 812 n.Chr.
Tawaddud legte die Aufzeichnungen zur Seite, und ihre Fingerkuppen strichen behutsam über meine Augenbrauen. Schon lange war es still geworden im ganzen Anwesen. Ein dünner Mond hatte sich den Himmel emporgesichelt. Von meinem Schlafraum, an der Ostseite des Haupthauses im zweiten Stock, sah ich die dunklen Schatten der Minarette, deren Spitzen silbern im Licht der Nacht glänzten. Über den stummen Bäumen hörte ich das dunkle Schu-schu zweier Käuzchen.
„In dieser Geschichte ist wohl der wahre Grund verborgen, weshalb du nie heiraten wolltest“, flüsterte Tawaddud schließlich schelmisch. Dann beugte sie sich über mich und küsste mich.
Ich kam langsam zurück von jenem paradiesischen Ort an dem man ist, wenn einem eine Geschichte vorgelesen wird, die man auch noch selbst niedergeschrieben hat und öffnete die Augen. Mein Kopf ruhte auf Tawadduds Bauch.
„Nun ja“, gab ich zu, „das Erlebnis Sindbads stimmt zumindest nachdenklich, wenn man daran denkt, sein Leben mit einem anderen durch richterlichen Beschluss zu verbinden.“
Einige Augenblicke überlegte ich. „Und dich konnte ich ja nicht heiraten, denn verheiratete Frauen dürfen keine Vorträge mehr im Haus der Weisheit halten.“
Tawaddud lachte still. Ich spürte es, weil mein Kopf zu wackeln begann.
„Wäre unser Leben anders verlaufen, wenn wir geheiratet hätten vor all den Jahren?“ fragte sie.
„Diese Frage will ich mir nicht stellen?“ sinnierte ich vor mich hin. „Ich bin zufrieden mit dem was war. Und mit dem was ist. Und das, was kommt, wird mir gegeben. Ob ich es nun will oder nicht!“
„Wärst du also nicht hinausgefahren an Sindbads Stelle? Hättest du dich dem ergeben was ist?“ Tawadduds Stimme hatte einen Klang, den ich von ihren Auseinandersetzungen mit Kufhar oder Abdallah her kannte, wenn es darum ging, ob der Schleier für eine Frau schicklich sei oder nicht, oder ob eine Frau nicht auch die Bibliothek im Haus der Weisheit nutzen dürfe und zwar allein, und ähnliche Dinge. Ich wusste, dass ich meine Worte abwägen musste jetzt, denn aus einem mir unerfindlichen Grund, begann in Tawaddud offensichtlich ein Ärger zu wachsen.
„Natürlich hätte ich versucht, was ich versuchen hätte können. Denn was bedeutet solch ein Fluch anderes, als dass jemand gehen muss, ihn zu lösen.“
„Du wärst also nicht hinausgefahren, wie Sindbad?“ beharrte Tawaddud auf ihrer Frage.
„Ich, Chacril, der ich nun einmal bin“, antwortete ich ihr, „hätte nicht hinausfahren können auf das Meer, weil ich kein Seefahrer bin und über kein Schiff wie die Dshin verfüge. Du weißt ja, was das Sprichwort sagt: Wem die Götter kein Schiff geben, für den gibt es auch keine Überfahrt.“
Ich überlegte einige Augenblicke und versuchte das Schweigen Tawadduds zu ergründen. „Ich wäre den Weg gegangen, den ich hätte gehen können. Was wäre mir anderes übrig geblieben?“
Offensichtlich besänftigte meine Antwort, die in Tawaddud aufsteigende Streitlust. Sie legte sich wortlos neben mich.
„Ich leide mit Osira!“ sagte sie viel später und kuschelte sich in meinen Arm.
„Ich mit Sindbad!“ gab ich Antwort.
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