Schwarze Schafe in Venedig by Chris Ewan

Schwarze Schafe in Venedig by Chris Ewan

Autor:Chris Ewan [Ewan, Chris]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2012-10-14T16:00:00+00:00


Dreiundzwanzig

Victoria liebt Listen. Ich kann leider nicht behaupten, dass ich besonders geordnet denke – ein ziemliches Handicap für einen Mann, der hauptberuflich Kriminalromane schreibt –, aber Victoria ist das genaue Gegenteil von mir. Wäre mein Hirn ein Büro, es wäre so eine vollgestopfte, unordentliche Rumpelkammer mit wackeligen Papierstapeln und einem unter Gerümpel vergrabenen Schreibtisch. Im Gegensatz dazu stellte ich mir Victorias Gehirn wie eine makellos saubere Glaskapsel vor, in der es dezent nach Politur roch, mit elegantem Rechner und anderem technischem Schnickschnack, Reihen wohlsortierter Aktenschränke und womöglich einem Whiteboard mit einer klar strukturierten Aufstellung aller zu erledigenden Dinge.

Manchmal glaube ich, mehr als alles andere im Leben genießt sie es, mich mit der Nase auf die Dinge zu stoßen, die ich übersehen habe (oder lieber nicht wahrhaben will). Weshalb ich ihr auch anzumerken glaubte, dass sie, trotz des Ernstes unserer Lage, der unchristlichen Uhrzeit und meines eklatanten Mangels an Geduld, zufrieden wie eine Katze mit sich war.

»Verrate mir doch mal«, setzte sie an, wie ein Anwalt, der vor Gericht gerade ein wichtiges Kreuzverhör einleitete, »was deiner Meinung nach passieren wird, wenn wir hier einfach abhauen?«

»Das weiß ich nicht, Vic. Ich hatte gehofft, wir könnten am Bahnhof ein kleines Frühstück zu uns nehmen und dann später im Zug zu Mittag essen. Gut möglich, dass ich nicht allzu lange am Zielort unserer Reise bleiben werde, aber ich hoffe sehr, dass es mich da wenigstens eine Woche lang hält.«

»Das habe ich nicht gemeint«, giftete sie in einem Ton, der durchklingen ließ, dass ich sehr wohl wusste, worauf sie hinauswollte. Wusste ich ja auch.

Ich setzte mich auf das Fußende ihres Bettes, ein Bündel Kleider auf dem Schoß. »Muss das sein?«

»Auf jeden Fall. Weshalb ich meine Frage gern anders formulieren möchte. Was wird deiner Meinung nach wohl aus dem Grafen Borelli, wenn wir jetzt einfach sang- und klanglos verschwinden?«

»Schwer zu sagen.«

»Tatsächlich? Ich denke eher, es ist ganz einfach. Er wird ermordet.«

»Möglich.«

»Charlie, gib es doch zu.« Herrje. Gleich würde sie mich sicher auffordern, eine Hand auf die Bibel zu legen und zu schwören, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen.

»Hör zu«, sagte ich zu ihr, »wenn es nach Graziella geht, wird er so oder so ermordet. Schließlich soll ich ihn umbringen, schon vergessen?«

Entnervt atmete Victoria aus, schlug energisch die Bettdecke zurück und schnappte sich ihren Morgenmantel. Wutentbrannt stopfte sie die Arme hinein und zog den Gürtel mit einem Ruck zusammen. Hätte mich nicht gewundert, wenn sie mir die Kordel am liebsten um den Hals gelegt hätte.

»Ist das wirklich dein Ernst?«, fragte sie.

»Hast du nicht die Koffer im Flur gesehen?«

Frustriert stierte Victoria mich an, dann stürmte sie aus dem Zimmer. Keine Frage, es wäre das Beste gewesen, einfach ihre Sachen zu packen und mich später mit ihrem kleinen Wutanfall herumzuschlagen. Aber als ich hörte, wie sie in der Küche die Schranktüren zuschlug und mit Geschirr herumklapperte, als wollte sie die Gesamtbevölkerung von Mestre wecken, kam ich zu dem Schluss, es wäre wohl besser, sie etwas zu beruhigen.

Also schlenderte ich nonchalant in die Küche, wo sie gerade den Teekessel aufsetzte.



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