Schulaufgaben by Jutta Allmendinger

Schulaufgaben by Jutta Allmendinger

Autor:Jutta Allmendinger [Allmendinger, Jutta]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3570551873
Herausgeber: Pantheon Verlag
veröffentlicht: 2012-09-23T22:00:00+00:00


KAPITEL 8

Jenny trägt die rote Laterne

Ohne verwertbaren Abschluss in die Welt

Die Eltern von Alex sind meine Freunde. Alle Geburtstage feiern wir zusammen. Wir sprechen die gleiche Sprache. Lauras Mutter kenne ich gut. Wir unternehmen ab und zu etwas. Doch Laura benötigt viel ihrer Zeit. Erkans Familie lädt mich immer zu ihren großen Festen ein. Leider schaffe ich es nur selten, ihr herzliches Willkommen zu genießen. Mit Jennys Familie habe ich keinen Kontakt. Ihre Mutter traf ich in Jennys Kindergartenzeit das letzte Mal. Jennys Vater lernte ich erst kürzlich kennen. Vor einigen Wochen ging Jenny zum Jugendamt und ließ ihrem Vater ausrichten, sie wolle ihn treffen. Zum ersten Mal in beider Leben. Er rief sie gern und sehr aufgeregt an.

Jenny wohnt weit draußen. Ich musste die Straßenbahn nehmen, um sie in ihrem Stadtteil zu treffen. Häufig kam das nicht vor, meist verabredeten wir uns in der Eisdiele oder bei Alex. Jenny wollte nicht, dass ich zu ihr nach Hause komme. Und ich merkte an mir und den anderen Kindern, dass uns vor allem die Neugierde trieb, sie in ihrem Stadtteil zu besuchen. Schon die Straßenbahnfahrt war etwas schwierig. Mit jeder Station hin zu den Hochhäusern am Rande der Stadt füllte sich die Bahn mit Menschen, deren Auftreten mir ungewohnt war. Die sozialen Schranken erschienen mir viel höher als die kulturellen und sprachlichen Unterschiede, auf die ich in Erkans Viertel traf.

Das lag auch an den unterschiedlichen Erfahrungen, Kulturen und Voreinstellungen. Erkans Familie ist stolz. Sie hat einen wunderbar großen Verwandten- und Freundeskreis. Es wird hart gearbeitet, Feste werden kräftig gefeiert. Ausländer waren in Deutschland früher Gastarbeiter. Menschen, die zum Arbeiten kamen, bis wir irgendwann Angst bekamen, dass sie uns die Arbeit wegnehmen. Die Bewohner der Sozialhilfeviertel aber sind nicht nur arm, sie stehen unter dem Verdacht, zu schmarotzen, faul und träge zu sein. Dieser Argwohn prägt die Menschen. Sie ziehen sich zurück. Viele sind einsam, obgleich sie dicht gedrängt beieinander leben. Andere werden laut und viel zu direkt. Sie werden so in die Ecke getrieben, dass ihnen wenige Möglichkeiten bleiben, ihre Selbstachtung zu wahren.

Jenny wurde in diesem Stadtteil geboren. Ihre Mutter war hierher gezogen, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, sie und ihren kleinen Sohn, Jennys Halbbruder. Sie bekam das Sorgerecht für das Kind und Unterhalt. Da war sie bereits über fünf Jahre nicht mehr erwerbstätig. Ihr damaliger Mann hatte nicht gewollt, dass sie arbeitet, sein Lohn hatte ja für die Familie gereicht. Nun, mit dem kleinen Kind, konnte Jennys Mutter nicht arbeiten, da eine Betreuung für die unter dreijährige Jenny fehlte. Das Arbeitsamt verlangte das auch nicht. Jennys Mutter bezog Sozialhilfe.

Im Gegensatz zu ihrem Bruder, der ein Wunschkind war, kam Jenny ungeplant und ungelegen. Gerade, als ihre Mutter wieder arbeiten und bald wegziehen wollte. Eine Abtreibung lehnte sie ab. Eine Beziehung ebenso. Darin stimmten Jennys Mutter und der Mann überein. Sie bekam das Kind, liebte es sehr und verlor doch ein Stück Lebensmut. Der Vater erkannte Jenny als seine leibliche Tochter an und zahlte Unterhalt für sie. Doch auch das führte nicht heraus aus den Transferleistungen des Staates.



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