Scarpetta by Patricia Cornwell

Scarpetta by Patricia Cornwell

Autor:Patricia Cornwell
Die sprache: eng
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2011-11-06T21:58:59+00:00


18

Dr. Lesters Büro strotzte nur so von eingerahmten Diplomen, Zeugnissen, Empfehlungsschreiben und Fotos, die sie mit Schutzhelm und weißem Overall bei den Ausgrabungsarbeiten am Ground Zero zeigten.

Offenbar war sie stolz darauf, an den Ermittlungen nach dem 11. September beteiligt gewesen zu sein. Allerdings schien die Tragödie selbst sie völlig kalt zu lassen. Scarpetta, die fast sechs Monate an der Unglücksstelle in der Water Street verbracht hatte, war dadurch nicht zu Ruhm und Ehre gelangt. Wie eine Archäologin hatte sie Tausende von Eimern voller Erde nach persönlicher Habe, Körperteilen, Zähnen und Knochen durchsucht. Jedoch konnte sie weder gerahmte Fotos noch Power-Point-Präsentationen vorweisen. Außerdem sprach sie nicht gern darüber, denn sie fühlte sich von den Ereignissen wie körperlich verseucht, und zwar auf eine bislang unbekannte Weise. Es war, als ob die Todesangst der Opfer einen giftigen Nebel gebildet hätte, der sich nun auf die gesamte Umgebung und auf ihre geborgenen, eingetüteten und nummerierten Überreste gesenkt hatte. Auch wenn Scarpetta es nicht genau erklären konnte, fand sie es geschmacklos, sich damit zu brüsten.

Dr. Lester nahm einen dicken Umschlag vom Schreibtisch und reichte ihn Benton.

»Autopsiefotos, mein vorläufiger Bericht, die DNA-Analyse«, verkündete sie. »Ich weiß nicht, was Sie schon alles von Mike erhalten haben. Manchmal ist er ein wenig schlampig.« Sie sprach von Mike Morales, als wäre er ein guter Freund. »Die Polizei geht von einem Mord aus«, erwiderte Benton. Er öffnete den Umschlag nicht, sondern gab ihn Scarpetta, eine symbolische Geste.

»Die Entscheidung liegt nicht bei der Polizei«, wandte Dr. Lester ein. »Ich bin sicher, dass Mike diese Auffassung nicht teilt. Und wenn doch, kennt er meine Haltung.«

»Und was sagt Berger?«, erkundigte sich Benton.

»Es ist auch nicht ihre Entscheidung. Warum fällt es den Leuten so schwer zu warten, bis sie an der Reihe sind? Die bedauernswerten Menschen, die bei uns landen, haben es ja auch nicht eilig, wozu also die Hetze? Ich habe, was die Todesursache angeht, noch kein abschließendes Urteil gefällt, insbesondere unter Berücksichtigung der DNA. Ich fand diesen Fall von Anfang an merkwürdig, und jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie ich ihn einschätzen soll.«

»Also beabsichtigen Sie nicht, in näherer Zukunft eine Todesursache zu bestimmen«, entgegnete Benton.

»Meine Möglichkeiten sind erschöpft. Jetzt muss ich auf die Ergebnisse der anderen warten«, antwortete sie.

Das hatte Scarpetta gerade noch gefehlt. Es gab nicht nur keine Beweise, aufgrund deren man Oscar Bane hätte festnehmen können, sondern nicht einmal ein Verbrechen im Sinne des Gesetzes. Das hieß, dass sie vielleicht noch sehr lange Zeit an ihre ärztliche Schweigepflicht gebunden sein würde.

Sie verließen das Büro. »Sie hatte zum Beispiel eine Art Gleitmittel in der Vagina«, verkündete Dr. Lester. »Das ist ungewöhnlich bei einem Mord.«

»Das mit dem Gleitmittel höre ich zum ersten Mal«, erwiderte Scarpetta. »Es steht in keinem der vorläufigen Berichte, die ich kenne.«

»Sicher ist Ihnen klar, dass es sich bei den DNA-Profilen aus CODIS nur um Zahlen handelt«, meinte Dr. Lester. »Und meiner Ansicht nach kann bei Zahlen schon der kleinste Irrtum zu einem völlig veränderten Chromosomensatz führen. Ein Fehler in einem oder mehreren Markern, und schon hat man ein ernstes Problem.



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