Salve Papa! by Wladimir Kaminer

Salve Papa! by Wladimir Kaminer

Autor:Wladimir Kaminer [Kaminer, Wladimir]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-03-08T16:00:00+00:00


In Nizza

Unsere Familienpolitik in Bezug auf Urlaub ist paradox: Die anerkannten Ferienziele besuchen wir nur außerhalb der Saison. Während der Saison fahren wir am liebsten zu meiner Schwiegermutter in den Kaukasus oder zu anderen Verwandten, die uns gerne wiedersehen. So fuhren wir jetzt mit den Kindern im Februar nach Nizza. Im Sommer ist diese Stadt bestimmt überfüllt und verstunken, und die Touristen werden von den Einheimischen in großem Stil abgezockt. Im Winter dagegen ist Nizza ruhig und relativ preiswert. Der Tourismus hält sich in Grenzen, überall wird gebaut, und überall hört man nur Französisch, sogar auf den Baustellen. Das hat mich gewundert, denn auf Berliner Baustellen hatte ich schon lange kein Deutsch mehr gehört. Entweder bauen die Franzosen noch selbst, oder sie stellen nur Leute mit Sprachkenntnissen ein.

Obwohl ich meiner Tochter seit zwei Jahren Französischunterricht bezahle, kann sie nur »danke«, »bitte«, »hallo« und »auf Wiedersehen« in dieser Sprache sagen. Das kann jeder. Aber einen einfachen Satz wie »Ich würde diesen Salat schon nehmen, aber lassen Sie bitte die Eier und Crevetten weg« kann sie nicht meistern. Sie versuchte es trotzdem, und es klang wahrscheinlich furchtbar, aber die feinfühligen Kellner verstanden sie tatsächlich. Dafür mochte Nicole die Franzosen. Auch mein Sohn Sebastian mochte sie wegen des guten Essens, der ganzen Baguettes und Croissants. »Franzosen sind meine Freunde«, sagte er immer wieder. Meine Frau vergötterte Franzosen sowieso. »Sie sind so viel freier als die Deutschen«, meinte sie, »und sie haben nicht diesen Selbsthass, den die Deutschen pflegen.«

In meinen Augen sahen alle Franzosen grotesk aus. Sie kleideten sich, als würden sie in einer endlosen Fernsehserie spielen, als wären sie alle dem gleichen Werbespot für irgendeinen Haarlack entsprungen. Besonders die Damen mit ihren hohen Hüten, Brillen wie Skifahrer, mit knallrotem Lippenstift bemalten Gesichtern, dazu Pelzmantel, Pantoffeln und ein kleines Hündchen, ein Kackdackel zum Ausführen. Die jüngeren Frauen waren ebenfalls überstylt, mit viel Kosmetik, aufwändig frisierten Haaren und Stiefeln, die ihnen fast bis über die Knie reichten.

In Deutschland ticken Frauen anders. Die über fünfzig geben sich auf, sie brauchen kein Parfüm mehr und keine ausgefallenen Klamotten. Und die jüngeren glauben, man solle sie nicht für ihr Aussehen, sondern für ihre menschlichen Qualitäten lieben. Deswegen versuchen sie, sich so hässlich wie möglich zu kleiden, und klagen gern über Beziehungsprobleme. Franzosen können anscheinend viele Probleme mit Kosmetik lösen; man sieht viele ältere Paare, die einander auch nach vierzig Jahren noch nicht auf den Geist gehen.

In den Kneipen hatten die Franzosen fast überall Speisekarten auf Russisch ausgelegt. Die reichen Ölrussen haben hier eine Zeit lang gerne Urlaub gemacht und wahrscheinlich nach russischer Art großzügig Trinkgelder verteilt. Jetzt kommen sie nicht mehr. Entweder sind sie von der Macht daheim eingeschüchtert oder ihre Ölquelle wurde verstaatlicht. Die Speisekarten sind aber geblieben. Die Kellner lebten geradezu auf, als sie uns Russisch sprechen hörten. »Russland?«, freuten sie sich und wollten uns unbedingt die Speisekarte auf Russisch vorlegen.

»Wir sind Russen aus Deutschland, aus Berlin«, erklärten wir und forderten spaßeshalber eine Speisekarte auf Deutsch. Doch auf Deutsch hatten die Franzosen nie was.



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