Rauch by Iwan Turgenjew

Rauch by Iwan Turgenjew

Autor:Iwan Turgenjew [Turgenjew, Iwan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Der Drehbuchverlag
veröffentlicht: 2015-04-24T16:00:00+00:00


16

Litwinow schlief die ganze Nacht nicht; er kleidete sich nicht einmal aus. Ihm war sehr schwer ums Herz. Als ehrlicher und gerecht denkender Mensch war er sich klar über die Bedeutung von Verpflichtungen, über die Heiligkeit der Pflicht, und er hätte es für schändlich gehalten, sich über sich selbst, über seine Schwäche und sein Vergehen etwas vorzumachen. Zuerst überkam ihn eine Art Erstarrung, und er konnte sich lange nicht von dem dumpfen Druck einer gleichbleibenden halb unbewussten, unklaren Empfindung befreien; dann befiel ihn Angst bei dem Gedanken, dass die Zukunft, seine fast schon erkämpfte Zukunft, sich nun erneut in Dunkel hüllte, dass sein Haus, sein festes, eben erst errichtetes Haus, auf einmal ins Wanken geriet... Er machte sich schonungslos Vorwürfe, unterdrückte diese Aufwallungen jedoch gleich darauf wieder. Welch ein Kleinmut! dachte er. Es ist jetzt nicht an der Zeit, sich Vorwürfe zu machen; jetzt muss gehandelt werden. Tanja ist meine Braut, sie hat meiner Liebe und meiner Anständigkeit vertraut; wir sind auf immer miteinander verbunden und können und dürfen uns nicht mehr voneinander trennen. Lebhaft vergegenwärtigte er sich alle Eigenschaften Tanjas und ging sie in Gedanken der Reihe nach durch; er war bemüht, Rührung und Zärtlichkeit für sie in sich zu erwecken. Mir bleibt nur noch eines übrig, dachte er weiter: Ich muss fliehen, unverzüglich, muss ihr, ohne ihre Ankunft abzuwarten, entgegeneilen. Ob ich an Tanjas Seite leiden, ob ich Qualen erdulden werde? Das ist unwahrscheinlich; auf jeden Fall aber hat es keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen oder es auch nur in Betracht zu ziehen - ich muss meine Pflicht erfüllen, und wenn ich darüber zugrunde gehe! - Aber du hast nicht das Recht, sie zu hintergehen, flüsterte ihm eine andere Stimme zu, du hast nicht das Recht, ihr die Veränderung, die in deinen Gefühlen vorgegangen ist, zu verheimlichen. Wenn sie erfährt, dass du eine andere liebst, verzichtet sie vielleicht darauf, deine Frau zu werden?! - Unsinn! Nichts als Unsinn! widersprach er. Das ist doch alles Sophisterei, schändliche Scheinheiligkeit, verlogene Gewissenhaftigkeit! Ich habe einfach nicht das Recht, mein gegebenes Wort zu brechen - so sieht es aus. Also schön. Dann muss ich fort von hier, ohne die andere noch einmal wiederzusehen...

Doch bei diesem Gedanken krampfte sich sein Herz zusammen, und ihm wurde kalt, physisch kalt; ein jähes Frösteln durchschauerte seinen Körper, und seine Zähne schlugen leicht gegeneinander. Wie im Fieber schüttelte er sich und sperrte den Mund auf. Er verfolgte seinen letzten Gedanken nicht weiter, suchte ihn vielmehr zu unterdrücken, sich von ihm abzuwenden und wunderte sich, konnte es einfach nicht fassen, wie er dieses verdorbene, mondäne Geschöpf mit seiner ganzen widerwärtigen und feindseligen Umgebung erneut ... erneut hatte liebgewinnen können. Er stellte sich die Frage: Ja bist du denn auch wirklich und wahrhaftig verliebt?, winkte dann aber nur ab. Und während er sich noch immer wunderte und zweifelte, trat wie aus weichem, duftigem Nebel das bezaubernde Gesicht hervor, hoben sich die strahlenförmigen Wimpern, und langsam und unwiderstehlich bohrte sich ihm der Blick der wunderschönen Augen ins



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