Psychoanalyse und Religion by Erich Fromm Rainer Funk

Psychoanalyse und Religion by Erich Fromm Rainer Funk

Autor:Erich Fromm Rainer Funk [Funk, Erich Fromm Rainer]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbuch
ISBN: isbn:978-3-95912-030-2
Herausgeber: Open Publishing Rights
veröffentlicht: 2015-11-27T16:00:00+00:00


5. Ist die Psychoanalyse eine Bedrohung für die Religion?

Bisher habe ich zu zeigen versucht, dass wir nur dann an die Beantwortung dieser Frage herangehen können, wenn wir zwischen autoritärer und humanistischer Religion und ebenso zwischen „Anpassungs-Beratung“ und „Seelsorge“ unterscheiden. Versäumt habe ich bisher, verschiedene Aspekte der Religion zu erörtern, die voneinander unterschieden werden müssen, wenn wir feststellen wollen, welche von ihnen durch die Psychoanalyse und andere Faktoren der modernen Kultur bedroht sind und welche nicht. Die besonderen Aspekte, die ich nunmehr unter diesem Gesichtspunkt behandeln möchte, sind der erfahrungsmäßige Aspekt, der wissenschaftlich-magische, der ritualistische und der semantische Aspekt der Religion.

Mit dem erfahrungsmäßigen Aspekt meine ich religiöses Gefühl und religiöse Hingabe. Die den Lehren der Stifter aller großen östlichen und westlichen Religionen gemeinsame Haltung besagt, das höchste Ziel des Lebens sei die Sorge um die Seele des Menschen und die Entfaltung seiner Kräfte der Vernunft und der Liebe. Die Psychoanalyse, weit entfernt davon, dieses Ziel zu gefährden, kann im Gegenteil sehr viel zu seiner Erreichung beitragen. Ebenso wenig kann dieser Aspekt von irgendeiner anderen Wissenschaft bedroht werden. Es ist undenkbar, dass irgendeine Entdeckung auf naturwissenschaftlichem Gebiet eine Bedrohung des religiösen Gefühls werden könnte. Im Gegenteil, ein verstärktes Gewahrwerden der Natur des Weltalls, in dem wir leben, kann dem Menschen nur helfen, stärkeres Selbstvertrauen zu gewinnen und zugleich bescheidener zu werden. Was die Sozialwissenschaften betrifft, so kann das durch sie angebahnte und wachsende Verständnis der Natur des Menschen und der sie beherrschenden Gesetze die Entfaltung einer religiösen Haltung weit eher fördern als sie gefährden.

Die Bedrohung der religiösen Haltung liegt nicht in den Wissenschaften, sondern vielmehr in den vorherrschenden Praktiken des täglichen Lebens. Hier hat der Mensch aufgehört, in sich selbst den höchsten Lebenszweck zu erkennen; er hat sich zum Werkzeug der großen Wirtschaftsmaschine gemacht, die seine Hände gebaut haben. Er ist mehr mit Fragen der Effizienz und des Erfolgs beschäftigt als mit seinem Glücklichsein und dem Wachstum seiner Seele. Noch genauer gesagt: Die Orientierung, die die religiöse Haltung am meisten gefährdet, ist das, was ich die [VI-283] Marketing-Orientierung des modernen Menschen genannt habe. (Vgl. Psychoanalyse und Ethik, 1947a, GA II, S. 47-56.)

Erst in der gegenwärtigen Zeit hat die Marketing-Orientierung ihre dominante Rolle als Ausrichtung des Charakters erlangt. Auf dem Personal-Markt sind alle Berufe, Erwerbstätigkeiten und sozialen Stellungen vertreten: Arbeitgeber, Arbeitnehmer und freie Berufe – für jeden hängt sein materieller Erfolg davon ab, ob er von denen akzeptiert wird, die seine Dienste in Anspruch nehmen könnten.

Wie auf dem Warenmarkt reicht auch hier der Gebrauchswert nicht aus, um den Tauschwert zu bestimmen. Der „Persönlichkeitsfaktor“ wiegt bei der Festsetzung des Marktwerts mehr als das Können und spielt meistens die entscheidende Rolle. Wenn es auch wahr ist, dass die gewinnendste Persönlichkeit den völligen Mangel an Können nicht ausgleichen kann – denn tatsächlich würde unser Wirtschaftssystem unter solchen Umständen nicht funktionieren –, so ist es doch selten, dass berufliche Fähigkeit und Integrität für den Erfolg ausschlaggebend sind. Die Formeln, die dem Warenpaket „Persönlichkeit“ aufgeklebt sein müssen, lauten vielmehr: „sich selbst verkaufen“, „seine Persönlichkeit an den Mann bringen“, ferner „Tüchtigkeit“, „Ehrgeiz“, „Freundlichkeit“, „Aggressivität“ und so fort.



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