Peter Scholl-Latour by Peter Scholl-Latour

Peter Scholl-Latour by Peter Scholl-Latour

Autor:Peter Scholl-Latour [Scholl-Latour, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2003-01-03T10:03:48+00:00


diese Vereinsamung - so habe ich in zahlreichen

Partisanenkriegen gelernt - ist ein Warnzeichen für

Unsicherheit, ja Gefahr.

Im Gegensatz zu »Bondsteel« ist dieser Außenposten

umzureichend abgeschirmt. Leutnant Lee, ein Amerikaner

asiatischer Abstammung, gibt uns ein paar Hinweise. Jenseits

der Grenze zieht sich ein fünf Kilometer tiefer entmilitarisierter Streifen entlang, wo die Serben nur mit gewöhnlicher

Ordnungspolizei Kontrollen durchführen dürfen. Aber die

Abwesenheit jugoslawischer Streitkräfte ist in den dortigen,

überwiegend albanisch bevölkerten Dörfern von der irregulären

albanischen »Befreiungsarmee« UCPMB genutzt worden, um

serbische Polizeistationen zu überfallen. Ganz eindeutig

betätigen sich hier die albanischen Freischärler als Provokateure und beunruhigen die UN-Verwaltung des Kosovo wie auch das

Kfor-Kommando mindestens so sehr wie die Regierung von

Belgrad.

Wir sind in das Dorf Dobrosin vorgerollt, das sich schon in

Serbien befindet. Zwei alte Albaner mit runden weißen

Filzkappen haben uns versichert, es sei keine jugoslawische

-308-

Polizei zugegen. Als ich vor der Moschee von Dobrosin den

Wagen wenden lasse, wird uns plötzlich der Weg von drei

Partisanen der UCPMB versperrt. Sie tragen funkelnagelneue

Tarnuniformen amerikanischen Zuschnitts und schwarze Baretts

mit einem rotgelben Emblem. Sie halten ihre Kalaschnikows auf

uns gerichtet, verlangen, daß wir uns mit dem Gesicht zur

Mauer aufreihen, und tasten uns nach Waffen ab.

Ein Gespräch mit ihrem Kommandanten wird abgelehnt, aber

dann lassen sie uns unbehelligt davonfahren. Ein paar Minuten

lang habe ich die explosive Gefahr ermessen können, die für die

weitere Stabilität des Balkans von dieser bewaffneten Irredenta

und vom albanischen Expansionsdrang ausgeht, der nicht so

sehr das schwergerüstete Serbien, sondern vor allem die

schwache Republik Mazedonien bedroht.

Wiedersehen mit Prizren. Die Bundeswehr genießt weiterhin

hohe Achtung bei der Bevölkerung. Ihre Generäle, Klaus

Reinhardt in Pristina, Roland Kather als Kommandeur der

Brigade Süd, strahlen Autorität und Sachkenntnis aus. Doch

gemessen an der begeisterten Aufbruchstimmung im

vergangenen Sommer ist bei den Deutschen von Prizren

Ernüchterung eingekehrt. Wozu dient das multinationale

Truppenaufgebot, das demnächst unter dem Befehl des

spanischen Generals Ortuno dem Eurocorps einverleibt wird?

Von drei Soldaten sind zwei ausschließlich damit beschäftigt,

bedrohte Minderheiten - vor allem Serben, aber auch Roma,

Bosniaken, serbische Muslime, sogar Türken - gegen den

rabiaten Chauvinismus der albanischen Kosovaren zu schützen.

Vor jeder christlichen Kirche des Amselfeldes ist rund um die

Uhr ein bemanntes Panzerfahrzeug plaziert. In Prizren wird eine

serbische Greisin ununterbrochen von vier deutschen Soldaten

in ihrer Wohnung bewacht. In dem Städtchen Orahovac, einer

früheren Hochburg der UCK, hat sich ein serbisches »Ghetto« -

anders kann man diese Ansammlung eingeschüchterter,

verzweifelter Menschen nicht bezeichnen - unter massivem

-309-

Militärschutz zusammengedrängt. Rund um das benachbarte

serbische Dorf Velika Hoca mit 600 Einwohnern, dessen

herrliche Kirchen-Fresken aus dem 16. Jahrhundert ich schon im

Sommer 1999 bewunderte, stehen schwere holländische

Artillerie- und deutsche Leopard-Panzer in permanenter

Einsatzbereitschaft.

Grotesker geht es nicht. Um dem absurden Prinzip der

Multiethnizität und den Vorschriften der UN-Resolution 1244

zu genügen, verzettelt sich die Nato-Truppe, büßt jede

Schlagkraft im Falle einer Krisen-Eskalation ein und verliert

allmählich ihre Kampftauglichkeit.

Das Eurocorps, das an dieser Stelle in seine erste

Bewährungsprobe geht, ist von Anfang an zur Funktion eines

schwergerüsteten »Babysitters« für bedrohte Minderheiten

herabgestuft. Für strategische Aufträge ist kaum noch Raum.

Der UN-Gouverneur des Kosovo, der französische Arzt Bernard

Kouchner, hatte sich über die unzureichende Zahl der ihm

versprochenen internationalen UN-Polizisten beklagt. Jetzt sind

sie überall zu sehen in ihren rotweißen Dienstautos. Die

deutschen Beamten rund um Prizren haben den Kampf gegen

die allgegenwärtige Kriminalität noch nicht aufgegeben, obwohl

kein albanischer Richter es wagen kann, einen überführten

Übeltäter, soweit er über UCK-Verbindungen verfügt, zu

verurteilen.



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