Neun Arten zu Tode zu kommen by Utta Kaiser-Plessow

Neun Arten zu Tode zu kommen by Utta Kaiser-Plessow

Autor:Utta Kaiser-Plessow
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: BoD E-Short


Wie lange geht das nun schon so? Fred hat die Übersicht verloren, ihm fehlt sein strukturierter Tagesablauf, Arbeit im Büro, Zeitung, Fernsehen. Er tut was zu tun ist. Holz hacken, Schnee vor der Tür, vom Dach kehren, Wasser erwärmen. Ihre Vorräte nehmen erschreckend ab. Auch Holz und Grillkohle. Nach den Kisten und Brettern aus dem Keller wird er als nächstes die Küchenstühle zersägen. Wenn nur endlich der Schnee schmelzen würde, dieser verdammte Schnee.

Fred geht hinaus. Irgend etwas hat er gehört. Ein leises Surren. Es wird stärker, kommt näher. Ein Hubschrauber? Ungläubig starrt Fred in den Himmel. Tatsächlich, dort fliegt ganz niedrig. ein Hubschrauber. Zwei Personen erkennt Fred, Köpfe beugen sich herunter. Er springt verzweifelt auf und ab, wedelt wild mit den Armen. Keine Reaktion, nichts. Der Hubschrauber dreht ab und verschwindet am Horizont.

Fred ist enttäuscht. Er weiß nicht, was er sich erhofft hat. Hilfe? Rettung? Aber wie soll das gehen? Der Hubschrauber hätte gar nicht aufsetzen können. Ina hat nichts mitbekommen. Sie liegt vor dem Kamin und döst vor sich hin. Die Hoffnung auf bessere Zeiten hat sie aufgegeben, wiederholt es wieder und wieder. Fred mag nichts davon hören. Er will nicht aufgeben, noch nicht. Es muss doch eine Möglichkeit geben. Sie leben in einem zivilisierten Land, es gibt Hilfskräfte, Militär, Technisches Hilfswerk. Es ist für ihn absolut unvorstellbar, dass es für sie keine Hilfe geben sollte. Außerdem der Schnee muss doch irgendwann schmelzen.

Am nächsten Morgen kommt der Hubschrauber wieder. Er fliegt direkt über ihr Haus, dreht und steht in der Luft. Aus der Tür wird ein Packet in den Vorgarten geworfen. Fred läuft sofort hinaus. Es ist dick mit Zeltplanen umwickelt und fest verschnürt. Er hat Mühe es ins Haus zu ziehen und die Umhüllung zu öffnen. Darin Mehl, Haferflocken, Zucker, Milchpulver, Erbsen, Fleischdosen, ein Kanister Öl, Kaffeepulver und sogar einige Tafeln Schokolade. Es ist wie Weihnachten. Auch Streichhölzer und ein Paket Haushaltskerzen finden sich. Dazwischen liegt eine Art Zeitung.

„Ina, Ina, komm schnell, alles wird gut“, ruft Fred.

Bei einer Tasse Kaffee, der ersten seit einer Ewigkeit, studieren sie die Informationen. Es ist erschütternd. Ein Schneesturm ungeahnten Ausmaßes und ungeheurer Stärke hat das Land heimgesucht, Städte verwüstet, Strommasten geknickt. Dächer, Häuser, ganze Wohnblocks sind unter der Schneelast zusammengebrochen. Tausende Menschen wurden erschlagen oder unter Schneemassen erstickt. Die Überlebenden werden aufgefordert, Ruhe zu bewahren. Erste Hilfsmaßnahmen sind angelaufen, Unterstützung aus dem Ausland angefordert. Es könne allerdings Wochen dauern bis es gelingt, zu normalen Verhältnissen zurückzukehren.

Bleich vor Entsetzen sehen sie sich an.

„Da haben wir auf dem freien Land ja noch unglaubliches Glück gehabt. Wir leben und sind unverletzt“, sagt Fred, „mir scheint nur, wir müssen uns auf längere Zeit einrichten.“

Er legt im Kamin drei Stuhlbeine nach.

„Wenn es auch schade darum ist, ich werde unseren alten Apfelbaum fällen müssen.“

Fred nimmt die Kettensäge, zieht die Gummistiefel an und geht hinaus. Ina steht am Fenster und schaut zu. Der schöne Apfelbaum, denkt sie, da wird es im Sommer keine eigenen Äpfel mehr geben, nie mehr. Sie sieht, wie Fred die Kettensäge ansetzt. Der mächtige Baum schwankt, stürzt und begräbt Fred unter sich.



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