Leon Ritter 04 - Das Grab unter Zedern by Eyssen Remy

Leon Ritter 04 - Das Grab unter Zedern by Eyssen Remy

Autor:Eyssen, Remy [Eyssen, Remy]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2018-10-14T16:00:00+00:00


42. Kapitel

Bodin hatte nichts mehr von sich hören lassen und Leon war froh darüber. Ein guter Zeitpunkt, um im Büro in Ruhe die letzten Obduktionsberichte zu korrigieren und die Materialanforderungen herauszuschicken. Als Leon in sein Büro kam, wartete eine Überraschung auf ihn: Mitten auf seinem Schreibtisch stand ein Karton mit der Aufschrift »Dr. Bodin«.

»Das hat heute Morgen ein Pfleger vorbeigebracht«, sagte Rybaud entschuldigend. »Ich wusste nicht, wohin mit den Sachen.«

»Auf keinen Fall auf meinen Schreibtisch.« Leon versuchte nicht, seinen Ärger zu verbergen. »Stellen Sie es so lange in die Kühlkammer.«

»Das wird dem aber nicht gefallen«, meinte Rybaud.

»Wir wissen ja nicht, was da drin ist«, erwiderte Leon. »Aber ich denke, in der Kühlkammer ist es gut aufgehoben.«

Rybaud grinste, schnappte sich die Kiste und wollte das Büro verlassen, als Leons Blick auf das Marmeladenglas auf seinem Schreibtisch fiel.

»Das ist ja immer noch da«, sagte Leon. »Wollten Sie sich nicht darum kümmern?«

»Ich kam noch nicht dazu. Aber heute Abend schaue ich es mir an.«

»Nein, lassen Sie nur«, sagte Leon, »ich mache das schon.« Er sortierte die Unterlagen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, überprüfte Anträge, Listen und Berichte. Dann beantwortete er eine Stunde lang E-Mails. Als sein Schreibtisch von allen Briefen und Notizen freigeräumt war, betrat er das Labor. Er setzte sich auf den Drehstuhl, stellte das Marmeladenglas vor sich auf die Arbeitsplatte und schraubte vorsichtig den zerkratzten Deckel ab.

Das Glas war verdreckt, aber am Boden lag ein etwa vier Zentimeter langer Knochen. Der Knochen bestand aus zwei Teilen, die mit vertrockneten Fasern verbunden waren und an denen trockene Erde klebte. Auf dem Waldboden hätte man das Stück leicht für einen gebrochenen Ast halten können. Aber als Leon mit der Pinzette den kleinen Knochen aus dem Glas nahm und unter der Lupe drehte, spürte er sofort, dass mehr hinter diesem Fund steckte.

In der Rechtsmedizin wurden immer wieder Knochenfunde von besorgten Bürgern abgegeben. In über 99 Prozent der Fälle handelte es sich dabei um Reste von Tierkadavern. Meist fanden Pilzsucher oder Wanderer einzelne Knochen toter Waldtiere, die von Füchsen, Dachsen oder Wildschweinen verschleppt worden waren. Seit es immer mehr Krimiserien im Fernsehen gab, suchten auch immer mehr Hobbydetektive nach »verdächtigen Spuren«. Was sie fanden, landete in den Polizeirevieren, und von dort gelangte es auf die Labortische der Rechtsmedizinischen Abteilungen. Dass es sich dabei tatsächlich einmal um menschliche Knochen handelte, war die absolute Ausnahme. Leon erinnerte sich, dass er eines Tages zu einem kompletten Skelett im Wald gerufen worden war, das angeblich eine Studentin entdeckt hatte. Wie sich herausstellte, bestand das Gerippe aus Kunststoff und war echten Knochen täuschend ähnlich nachgebildet. Medizinstudenten hatten das Skelett aus dem Hörsaal entführt und dann im Wald vergraben, um ihrer Kommilitonin einen Streich zu spielen.

In einem anderen Fall war von einem Pilzsucher ein halbverwester Kinderfuß gefunden worden. Wie sich schnell herausstellte, war der Fuß keineswegs mumifiziert, sondern aus uraltem Eichenholz und gehörte zu einer Christusfigur in einer nahegelegenen Klosterkapelle, wo er seit längerer Zeit von den Mönchen schmerzhaft vermisst worden war.

Leon hatte schon Rinderknochen, Ziegenhörner und Schweinefüße auf dem Seziertisch gehabt.



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