Lenin und die Hühner: Roman (German Edition) by Olaf Satzer

Lenin und die Hühner: Roman (German Edition) by Olaf Satzer

Autor:Olaf Satzer [Satzer, Olaf]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Lenin, Roman, Musik, Russland, Wunschliste
Herausgeber: A2 publishing
veröffentlicht: 2015-08-19T00:00:00+00:00


Präzisionsgewehre

Am Abend sagte Pavel, dass wir einen Spaziergang durchs Dorf machen sollten. Er würde mir gern alles zeigen. Außerdem wäre es auch Zeit, dass Lady mal wieder an die frische Luft käme. Ich stimmte ihm zu, und auch Lady war von der Idee offensichtlich begeistert. Beim Klang ihres Namens spitzte sie sofort die Ohren und begann freudig mit dem Schwanz zu wedeln. Bevor wir mit ihr den Innenhof betraten, hielt ich sie am Halsband fest, damit sie nicht wieder die armen Hühner anfallen konnte. Der Plan ging auf. Obwohl sie, nachdem sie die Federviecher entdeckt hatte, ziemlich zog und zerrte, konnte ich sie festhalten, bis wir den Hof verlassen und die Tür hinter uns verschlossen hatten.

Pavels Datscha war das letzte Haus des Dorfes, bevor der Weg sich weiter durch die Hügel schlängelte. Darum schlenderten wir in die entgegengesetzte Richtung ins Dorf hinein. „Du musst wissen“, begann Pavel zu erzählen, „dass die Häuser hier im Dorf die längste Zeit des Jahres leerstehen. Sie gehören Leuten in der Stadt, die nur im Sommer aufs Land fahren, um hier ihre Ferien zu verbringen. Die restliche Zeit sind wir hier unter uns.“ – „Und wie viele Einwohner hat das Dorf? Ich meine, die, die wirklich die ganze Zeit hier sind.“ – „Das sind nicht viele. Vielleicht zehn. Die meisten machen es so wie ich. Sobald der Schnee geschmolzen ist, kommen wir hierher und bleiben bis zum Beginn des Winters. Bevor es wieder richtig kalt wird, gehen wir dann in unsere Wohnungen in der Stadt. Aber trotzdem gibt es eine Handvoll Leute, die wirklich das ganze Jahr hier sind. Das sind die Ärmsten unter uns, weißt du. Sie können sich keine Wohnungen leisten und müssen deshalb hier bleiben. Fedja und Irina, die du ja schon kennst, sind immer hier. Sie haben eine schöne Datscha und einen guten Ofen. Außerdem sind sie zu zweit. Um sie muss man sich keine Sorgen wegen der Kälte machen. Aber gleich hier vorne, ein paar Häuser weiter, wohnt der alte Michail Petrowitsch. Das ist ein ganz armer Kerl. Er hat sein Leben lang in einer Kolchose auf dem Traktor gesessen, und nun bekommt er fünfhundert Rubel im Monat. Das ist zum Leben zu wenig, und zum Sterben ist es eigentlich auch nicht genug. Um ihn mache ich mir immer die größten Sorgen, ob er den Winter überlebt. Er ist ja auch schon sehr alt.“

„Wie kalt wird es denn hier draußen?“ wollte ich wissen. „In harten Wintern können es schon mal vierzig oder fünfundvierzig Grad unter Null werden. Aber bisher hat der alte Petrowitsch es immer irgendwie geschafft.“ – „Was macht er denn die ganze Zeit? Der Winter ist doch sehr lang.“ – „Das stimmt. Von Oktober bis April kann man sagen. Ich weiß nicht genau, was er tut. Er liegt in seinem Bett oder sitzt vor seinem Ofen und wartet darauf, dass es wieder Frühling wird. Was soll er sonst schon machen? Irina bringt ihm ab und zu was zu essen. Sie ist eine gute Seele.“

„Hier wohnt Raissa“, sagte er dann.



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