Herr Wolle läßt noch einmal grüßen by Krause-Burger Sibylle
Autor:Krause-Burger, Sibylle
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-DVA Sachb./Belle.
veröffentlicht: 2016-02-07T16:00:00+00:00
Hans Wolle 1937 kurz vor
seiner Ausreise nach Brasilien
Verzweifelt und vergeblich kämpft er in den ersten Jahren nach der Auswanderung um eine »Chamada« für Ada: »So ein Scheißdreck, elender, ich hab’ doch keine Lust, bis in alle Ewigkeit auf meine Frau zu warten. Ach, ich könnte vor Wut den ganzen Laden hier in tausend Stücke schlagen, es hat leider bloß keinen Zweck. Da sitzt man nun hier und rechnet sich heimlich schon aus, wann das Mädchen wohl hier sein kann, und dann … Äch«. Natürlich sehnt er sich nicht nur nach Ada, er sehnt sich auch nach Berlin zurück und schreibt im familienüblichen ironischen Ton und Abkürzungsstil, er möchte doch gern wieder einmal »mit Euch den Normalspaziergang 28c« machen, »erst nach Krula mit Mi-essen und Algrü, dann um den See rum nach Otohue, dort Katri und über Paubo, Ro-eck nach Hause. Dann ein Normalabend mit Katosala und Bridge bei Burgers.« Was ausgeschrieben soviel heißt wie: Hans träumt in Brasilien von seiner Heimat, träumt von einem Ausflug an die Krumme Lanke mit Mittagessen im Grunewald und auf dem Teller Aal grün, dann um den See herum nach Onkel Toms Hütte, dort Kaffeetrinken und Kuchenessen, schließlich über Paulsborn und Roseneck zurück nach Hause. Zum Abschluss möchte er bei Burgers Kartoffelsalat essen und Bridge spielen: »Das war eigentlich immer sehr gemütlich.«
Mit den Jahren verebben diese nostalgischen Gefühle. Er löst sich von Ada, und er erfährt auch Anerkennung in dem Elektro-Konzern, der ihn beschäftigt. Aber der Kampf mit der Bürokratie in Brasilien, mit dem schleppenden Gang aller Dinge und den restriktiven Einwanderungsbestimmungen in der Zeit nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, geht natürlich weiter. Und er geht – was den Versuch anbetrifft, seinen Lieben in Deutschland zu helfen – ganz ohne sein Verschulden verloren.
Aber das versteht seine Mutter nicht, das kann sie angesichts der Gefahr, in der sie und ihr jüngerer Sohn schweben, auch nicht verstehen: »Was Du über das Dorthinkommen, vielmehr nicht Kommenkönnen schreibst, hat mich sehr niedergeschlagen. Ich meine immer, es müsste mal in Erfahrung zu bringen sein, wie die anderen es gemacht haben, und ich würde gern das Nötige opfern. Nimm es mir bitte nicht übel, aber aus Deinen Briefen hat man den Eindruck, dass Du Dich auch nicht bemühst, etwas zu erfahren. Von anderen Leuten höre ich, dass ihre Angehörigen in Übersee sich die Beine abrennen und ihr Letztes geben, um ihre Nächsten herüberzukriegen. Ich glaube, wir sind Dir schon ganz fremd geworden in den 4 Jahren. Vielleicht hast Du auch keine Ahnung, wie es immer dringender wird.«
Hat sie 1938 noch befürchtet, bald einsam zu sein, so ist die Einsamkeit im Jahre 1941 längst Wirklichkeit. Alle sind weg: die Simons in Südafrika, die Nathans, Rieses und Reyersbachs in den Vereinigten Staaten, die Goldbergs in England, die Marcuses in Palästina, nur Pu und Thekla harren in Berlin aus – und mit ihnen zu diesem Zeitpunkt, am Ende des Jahres 1941, immerhin noch 55 000 andere Juden, die es auch nicht geschafft haben, das Land zu verlassen – sei es, dass sie aus
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