Heimat hinter Grenzen by Lise Gast

Heimat hinter Grenzen by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-26T00:00:00+00:00


* * *

Nach all diesen Erlebnissen schliefen wir herrlich in unserem Hühnergarten und ließen uns von den Hähnen wachkrähen. Morgens durften wir uns in einem sauberen Badezimmer mit Genuß waschen. Und nun ging es für einen ganzen Tag nach Camenz!

Frau Lenz stand schon vor dem Portal, als wir um neun Uhr pünktlich die drei Wagen nebeneinander auf dem Kirchplatz parkten. Sie hielt einen Strauß bunter Schwertlilien im Arm, wohl aus ihrem Garten. So schön und so froh war dieser Empfang: jeder von uns bekam einen der hohen, üppig blühenden Stengel überreicht. Wir legten sie später auf Großvaters Grab. Zunächst aber ging es in die Kirche.

Zu dieser Kirche – einen eigentlichen Namen hat sie nicht – hatten wir von jeher eine besondere Beziehung. Zum Gottesdienst gingen wir zwar in die andere, die evangelische, die Schloßkirche, die jetzt als Lagerschuppen für landwirtschaftliche Erzeugnisse dient. Mit dieser aber, der katholischen, waren wir befreundet. Es gab wohl keinen Spaziergang aufs Schloß, bei dem wir nicht auf dem Hinoder Rückweg schnell einmal in die Kirche schlüpften.

Ach, der Innenraum war noch wie damals! Alle die barocken Heiligenfiguren, die wir als Kinder so liebten, standen noch an ihrem Platz. Wir begrüßten sie alle persönlich wie alte Bekannte. Hier war der Heilige, der auf einem Buch seinen eigenen, abgeschlagenen Kopf vor sich her trug; dort jener, der sich mittels eines merkwürdigen Gerätes seine Gedärme aus dem aufgeschlitzten Bauch herauswand, wobei er, uns Kindern durchaus verständlich, den Kopf vor Schmerzen ganz schief hielt ... Wer uns damals hätte belehren wollen, diese Bewegung hinge mit dem barocken Stil und seiner überschwenglichen Ausdrucksart zusammen – wir hätten ihm sicher nicht geglaubt, hätten ihn vielleicht gar der Kälte und Mitleidslosigkeit geziehen. Denn beide Märtyrer wurden von uns inbrünstig mit wohligem Gruseln geliebt und bewundert.

Wir schauten weiter umher. Seht, dort ist ja auch noch die Kanzel mit der Jakobsleiter auf dem Dach! Barocke Englein steigen darauf hinauf und herab, weißgolden, überaus wohlgenährt und pummelig. Wie oft erzählten wir als Kinder vergnügt die Anekdote vom Alten Fritz, der sich viel in Camenz aufgehalten hatte. Er habe, so heißt es, den Abt Tobias Stusche – wohl um sich an seiner Verlegenheit zu weiden – gefragt, warum denn die Engel eine Leiter nötig hätten, wo sie doch Flügel besäßen ...

Der Abt aber war dem aufgeklärten alten Ketzer gewachsen: 'Majestät', so soll er schlagfertig pariert haben, 'als diese Figuren entstanden, werden sich die Engel wohl gerade in der Mauser befunden haben!'

Als der preußische König sich wieder einmal in Camenz aufhielt, kam das, wohl durch Verrat, den Österreichern zu Ohren. Sie kamen also und durchsuchten die Prälatur und die Kirche nach ihm. Man fand ihn aber nicht. Der Abt hatte ihn geistesgegenwärtig in eine Kutte gehüllt, und Friedrich war mit den Mönchen in die Kirche eingezogen und nicht erkannt worden. Nur seinen Adjutanten, von Glasenapp, fanden sie, die erbitterten Feinde während des Schlesischen Krieges, hinter dem Hochaltar. An ›unserem‹ Kirchenstuhl war damals – jetzt natürlich nicht mehr – zu lesen:

'Hier stand und sang Friedrich der Zweite von Preußen, als Mönch verkleidet, während die Österreicher die Kirche nach ihm durchsuchten.



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